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Zeit für mich und Zeit für dich

Zeit für mich und Zeit für dich

Titel: Zeit für mich und Zeit für dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Volo
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machen und so.«
    »Chemotherapie? Aber Mama… erst sagst du, ihr wollt nicht, dass ich mir Sorgen mache, und jetzt überfällst du mich aus heiterem Himmel mit allem auf einmal, und auch noch am Telefon!«
    »Ich weiß, das war wohl nicht besonders geschickt von mir. Aber du wirst sehen, alles wird gut.« Bevor wir auflegten, sagte sie noch einmal: »Es tut mir leid, dass ich dich so überfallen habe. Aber bestimmt ist am Ende alles ganz harmlos…«
    Ich stand da, mit dem Einkaufskorb in der Hand, und starrte ins Leere. Es dauerte ein paar Minuten, bis vor meinen Augen wieder die Joghurtbecher mit ihren sorgfältig aufgedruckten Verfallsdaten auftauchten. In der Ferne hörte ich eine Stimme sagen: »Siebenunddreißig… die Siebenunddreißig bitte«, doch als ich wieder zu mir kam und begriff, wo ich war, wurde an der Wursttheke bereits die 38 aufgerufen. Ich stellte meinen Korb auf dem Boden ab, verließ den Supermarkt und ging nach Hause.
    Meine Eltern sind zurückhaltende, wohlerzogene und respektvolle Menschen. Auch mir gegenüber. Vor allem meine Mutter, die mich bei jedem Anruf fragt, ob sie mich auch nicht stört und ob ich gerade sprechen kann. Manchmal fügt sie, bevor ich antworten kann, noch hinzu: »Sonst rufe ich lieber ein andermal wieder an…«
    [48]  Sie wollen nicht, dass ich mir Sorgen mache, aber manchmal übertreiben sie es mit ihrem Beschützerinstinkt und überfallen mich mit allem auf einmal, wie diesmal, so dass ich völlig unvorbereitet bin und keine Möglichkeit habe, es erst mal zu verarbeiten. Immer wieder versuche ich ihnen klarzumachen, dass es besser wäre, wenn sie mich mehr auf dem Laufenden hielten, vor allem was sie selbst betrifft.
    Einmal musste ich für einen Job nach Cannes, und während ich dort war, wurde die Schwester meiner Mutter notfallmäßig ins Krankenhaus eingeliefert. Jedes Mal, wenn ich zu Hause anrief und fragte, wie es meiner Tante gehe, antwortete meine Mutter, dass alles in Ordnung sei und ich mir keine Sorgen machen solle.
    »Du klingst aber besorgt, Mama. Soll ich nach Hause kommen?«
    »Bist du verrückt? Nein, du musst doch arbeiten. Außerdem könntest du hier sowieso nichts tun.«
    Als ich kurz darauf zurückkam, eröffnete mir meine Mutter, dass meine Tante gestorben und bereits beerdigt worden sei.
    Meine Eltern sind einfache Leute, die noch nie mit einem Flugzeug geflogen sind und die Stadt, in der sie leben, erst einmal verlassen haben, um in Urlaub zu fahren. Weil sie mich öfters Englisch sprechen hören oder weil ich häufiger mit dem Flugzeug reise, als sie ihr Auto benutzen, denken sie, ich würde in einer anderen Welt fernab der ihren leben, in der sie mich mit ihren unwichtigen Belangen nicht stören dürfen.
    Nach dem Telefonat mit meiner Mutter ging ich zu [49]  Giulia. Als sie die Tür öffnete und mich blass und verstört dastehen sah, dachte sie erst, es gehe mir körperlich nicht gut. Ich setzte mich aufs Sofa und erzählte ihr von dem Gespräch mit meiner Mutter.
    »Das tut mir leid. Aber mach dir vorerst keine Gedanken, vielleicht ist es ja wirklich nur ein Adenokarzinom, und wenn sich noch keine Metastasen gebildet haben, kann man es operieren. Sie entfernen den Knoten, und dein Vater braucht nicht mal eine Chemo. Ist auch keine komplizierte Operation. Mein Onkel hatte etwas Ähnliches.«
    »Aber wenn nicht? Kennst du dich mit so Sachen aus?«
    »Seit der Geschichte mit meinem Onkel schon, zumindest ein bisschen. Willst du die Wahrheit hören?«
    »Nein… doch. Meiner Mutter wurde gesagt, es könnte auch was anderes sein. Ich weiß den Namen nicht mehr, aber wenn es das ist, muss er wohl eine Chemotherapie machen.«
    »Ein Kleinzellkarzinom.«
    »Ja genau, das war es… Und was, wenn es das ist?«
    Giulias Gesichtsausdruck verriet mehr als alle Worte. Bedauern.
    »Sag’s mir.«
    »Also, falls es das sein sollte, was ja überhaupt noch nicht feststeht, dann können sie nicht operieren, dann ist eine Chemotherapie angesagt. Und es besteht nicht viel Hoffnung auf Heilung.«
    »Was meinst du mit ›nicht viel Hoffnung‹?«
    »Im schlimmsten Fall bleiben ihm vielleicht noch ein paar Monate. Aber daran sollte man jetzt noch gar nicht [50]  denken. Erst müssen sie herausfinden, welche Art von Tumor es überhaupt ist. Bestimmt ist es nur ein Adenokarzinom. Das ist es meistens, wenn jemand einen Knoten auf der Lunge hat.«
    »Hättest du vielleicht ein Glas Wein für mich? Sonst geh ich schnell zu mir rüber und hole

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