Zeit für Plan B
durch das Gedränge der Medienleute zu sich, vorbei an Deputy Dan und den Polizeibarrikaden und ins Haus. Die mit ihr konkurrierenden Journalisten reagierten panisch, brüllten Fragen und Forderungen, empört darüber, wie man sie ausgetrickst hatte. Sally hatte inzwischen zwei Ersatz-Kameraleute, die die ganze Nacht durchgefahren waren, um hier bei etwas dabei zu sein, was sie als Exklusivinterview mit den angeblichen Entführern von Jack Shaw bezeichnete. Falls sie sich wunderten, dass Jack Shaw selbst hier saß und auf sie wartete, dann waren sie auf jeden Fall professionell genug, es sich nicht anmerken zu lassen. Einen Tontechniker und einen Visagisten hatten sie auch mit dabei, und die ganze Crew machte sich sogleich an die Arbeit, Jupiterlampen aufzustellen, dazu Schirme, um das Licht zu dämpfen, die Möbel umzustellen und das Wohnzimmer im Grunde in ein Mini-Studio zu verwandeln. Chuck stellte Sally Jack vor, und Sally gab sich alle Mühe, nicht allzu beeindruckt oder aufgeregt zu wirken, was ihr gründlich misslang. Es war ganz offensichtlich das größte Interview ihrer Karriere. Jack ging nach oben, um kurz zu duschen, und die Kameraleute setzten Chuck auf den Platz neben Sally, um die Beleuchtung zu testen. Chuck flirtete die ganze Zeit über mit Sally, posierte und beugte sich vor, um ihr etwas zuzuflüstern, während sie aus unterschiedlichen Winkeln aufgenommen wurde. Sie schnitt uns ein paar Grimassen, aber offenbar machte es ihr nicht wirklichetwas aus. Wenn überhaupt, dann schienen seine Faxen sie eher noch zu beruhigen.
Jack kam etwa zwanzig Minuten später zurück. Er wirkte sauber und gefasst in schwarzen Jeans und einem Baumwollhemd, das er sich aus meinem Koffer genommen hatte. Während der Visagist ihn bearbeitete, plauderte Jack freundlich mit Sally, hörte aufmerksam zu, während sie ihm ihre Pläne für das Interview skizzierte, und machte selbst ein paar Vorschläge, die sie sich hastig notierte.
Wir anderen zogen uns in den hinteren Bereich des Wohnzimmers zurück, weit hinter die Kameras, und das Interview begann. »Sie wurden seit fast sieben Tagen vermisst«, sagte Sally nach ein paar einleitenden Worten. »Wo sind Sie gewesen?«
Jack lächelte und sagte: »Zunächst einmal wurde ich nur drei Tage vermisst. Bis vor drei Tagen war ich bei meinen Freunden.«
»Hier in diesem Haus?«
»So ist es.«
»Aber Sie haben niemandem etwas davon gesagt.«
»Ich hatte mich entschieden, die Medien nicht zu verständigen, wenn Sie das meinen.«
Jack unter den Scheinwerfern und vor der Kamera zu beobachten, das war schon etwas. Man konnte nicht behaupten, dass irgendetwas an ihm wirklich anders war als sonst, aber sein Lächeln wirkte einfach so viel strahlender, seine Haltung so viel selbstbewusster. Es war nicht so, dass sich irgendetwas in ihm veränderte, wenn er vor den Kameras saß, sondern eher so, dass er irgendetwas wurde, was schon immer in ihm gewesen war, dicht unter der Oberfläche. Es war diese unberührbare, unbeschreibliche Qualität, die Jack auf die Leinwand brachte, aber sie auf drei Meter Entfernung hinter der Kamera persönlich wahrzunehmen, das war schon eine bemerkenswerte Erfahrung.
Wir hatten überlegt, ob Jack öffentlich zugeben sollte, dass er Kokain genommen hatte, oder einfach die allseits beliebte Abhängigkeitvon Schmerzmitteln vortäuschen sollte, wie es so viele andere Prominente taten. Wir waren zu dem Schluss gekommen, dass er seine Kokainsucht in der Öffentlichkeit zu oft demonstriert hatte, um sie jetzt noch glaubhaft leugnen zu können. »Am besten ist es, man macht einfach reinen Tisch und lässt es dann hinter sich«, sagte Jack. »Die Branche ist dafür bekannt, dass sie kein allzu langes Gedächtnis hat, wisst ihr? Außerdem gibt es inzwischen schon ein festes Protokoll für diese ganze Reha-Geschichte, das die Studios und die Presse im Allgemeinen von einem erwarten. Schlechtes Benehmen, Geständnis und dann, vor allem, Reue. Solange du dich an diese Rolle hältst, geben sie dir die Chance, die Sache wieder ins Lot zu bringen. Aber wenn du dabei improvisierst, dann kannst du dir einen Mordsärger einhandeln.«
Ich weiß nicht, wie sehr Jacks Vorstellung vorausgeplant war, aber er brachte sie glänzend über die Bühne. Er strahlte stilles Selbstvertrauen aus, ohne überheblich zu wirken, und er schien sich entschuldigen zu wollen, ohne um Mitleid zu heischen. Er war ein leicht gedämpfter, klügerer Jack Shaw, der nun bereit war, sich zu bessern
Weitere Kostenlose Bücher