Zeit, gehört zu werden (German Edition)
einer solch geringen Menge DNA galten. Es könne sich um eine Verunreinigung handeln, hieß es.
Doktor Stefano Conti führte eine Videoaufnahme der Kriminaltechniker vor, die zeigte, wie sechs Wochen nach Merediths Ermordung in der Villa Beweismittel gesichert wurden. Der Professor zoomte auf die schmutzigen Latexhandschuhe der Ermittler. Auf einem polizeieigenen Video war zu sehen, wie sie den BH-Verschluss durch mehrere Hände gehen ließen und schließlich zurück auf den Boden legten, um ein Beweisfoto zu machen. »Es gibt zahlreiche Vorgänge, die nicht den anerkannten Regeln oder dem angemessenen Verfahren entsprechen«, erklärte Conti – eine gelinde Untertreibung.
Zum Schluss hatte er über fünfzig methodische Fehler der Spurensicherung identifiziert: Man hatte mit der Beweissicherung sechs Wochen gewartet; man hatte die falschen Beutel für die Beweissicherung verwendet; es wurden mit Blut und Schmutz verunreinigte Handschuhe getragen; Merediths BH und Unterwäsche sowie ihre Leiche wurden ohne Handschuhe berührt, um nur einige zu nennen.
»Heute liegt uns eine umfassende, klare und unzweifelhafte Analyse der DNA auf dem BH-Verschluss vor«, sagte Raffaeles Anwältin Giulia Bongiorno. »Die DNA auf dem BH-Verschluss, die Raffaele Sollecito zugeordnet wurde, war der einzige Beweis, aufgrund dessen er verurteilt worden ist. Dieser sogenannte Beweis hat sich in Luft aufgelöst.«
Allmählich begann ich daran zu glauben, dass dieser Richter die Fehler der Polizei nicht übersehen würde.
Wie erwartet, versuchten die Staatsanwaltschaft und die Anwälte der Nebenklage die Gutachter als voreingenommen und unqualifiziert abzukanzeln. Sie taten ihr Bestes.
Die stellvertretende Staatsanwältin Manuela Comodi bezichtigte Conti und Vecchiotti der Lüge.
»Zeigen Sie uns, wann genau der Verschluss kontaminiert wurde«, verlangte sie. Wenn wir die Kontamination nicht beweisen könnten, dürften wir es auch nicht behaupten.
Die Antwort von Vecchiotti und Conti: »Der Beweis eines Kriminaltechnikers, dass keine Kontamination passiert ist, besteht darin, dass er die anerkannten Regeln befolgt hat. Die Spurensicherung hat das Beweisstück, das in einem anderen Teil des Raumes gefunden wurde, genommen, es auf den Boden gelegt, fotografiert und dann wieder weggenommen. Und Sie wollen behaupten, es wurde nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit kontaminiert?«
»Sie können nicht beweisen, dass der Handschuh, der den Verschluss berührt hat, kontaminiert war«, warf Comodi den Sachverständigen vor.
Conti und Vecchiotti hielten dagegen: »Wir haben den Handschuh auf Film. Man kann den Schmutz sehen.«
Die Anklage forderte einen Beweis dafür, dass an dem Handschuh Raffaeles DNA haftete.
Contis und Vecchiottis letzte Einlassung dazu: »Das ist nicht nötig. Es genügt zu zeigen, dass der Handschuh schmutzig war, dass der BH-Verschluss von einem Ort zum anderen transportiert wurde und dass man ihn erst nach sechs Wochen untersucht hat – all das verstößt gegen die anerkannten Regeln der Spurensicherung.«
Am selben Tag, dem 30. Juli, fand die letzte Anhörung vor der Sommerpause im August statt. Richter Hellmann verkündete, das Gericht werde die Sitzung am 5. September wieder aufnehmen. Dagegen protestierte die stellvertretende Staatsanwältin. »Zu dieser Zeit wollte ich eigentlich noch mit meiner Tochter im Urlaub sein.«
Mit deiner Tochter im Urlaub! , schrie es in mir. Ich wünschte, ich könnte mit MEINER Mutter Urlaub machen. Du jammerst, weil du vielleicht deinen Urlaub verkürzen musst, und interessierst dich nicht dafür, dass ich fast fünf Jahre meines Lebens verloren habe!
Richter Hellmann setzte den nächsten Sitzungstermin auf den 5. September fest.
Ich wusste nicht, wann das Urteil erfolgen würde, aber je näher die Urteilsverkündung rückte, desto nervöser wurde ich. Ich konnte nichts mehr essen, mir fiel das Haar wieder büschelweise aus, ich hatte am ganzen Körper Nesselausschlag, meine Hände zitterten. Oft brach ich unvermittelt in Tränen aus. Die meiste Zeit konnte ich mich dem grenzenlosen Optimismus meiner Angehörigen, Freunde und Unterstützer nicht anschließen. Als mich Corrado im August besuchte, fragte er mich: »Warum machen Sie sich solche Sorgen, Amanda? Alles wird gut. Sie werden sehen. Entspannen Sie sich.«
Ich konnte nicht einmal mehr richtig durchatmen.
Am ehesten entspannte ich mich bei den Musikstunden und Gesprächen mit Don Saulo. Es war zu heiß für den Hofgang am
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