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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
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nicht dabei, also konnte sich der Mord an Meredith nicht so zugetragen haben, wie Mignini es beschrieb. Seine Tatversion war so weit hergeholt, und es war so schmerzhaft für mich, als unmoralisch und blutrünstig dargestellt zu werden, dass ich mich einfach mehr auf seine verbalen Attacken mir gegenüber als auf die körperliche Gewalt konzentrierte, der Meredith ausgesetzt gewesen war.
    Bei Alessis Geschichte wurde mir übel, und sie verfolgte mich noch lange danach. Ich wusste, dass sie nur auf Hörensagen beruhte, und auch wenn zwei von Guedes Zellengenossen sie bestätigten, konnte sie nicht als direktes Beweismittel verwendet werden. Wahr oder nicht, sie zwang mich, mir vorzustellen, wie furchtbar Meredith gelitten haben musste. Und sie warf eine Frage auf, die ich nie ernsthaft in Betracht gezogen hatte und mit der ich mich lieber nicht befassen wollte: Hatte Guede einen Komplizen gehabt?
    Meine Anwälte hatten einmal erwähnt, dass die Polizei nicht identifizierbare DNA-Spuren am Tatort gefunden hatte, aber ich hatte mich nicht weiter damit beschäftigt. Auch die Anklage hatte sie nicht vor Gericht verwendet. Gab es Spuren einer weiteren Person im Zimmer und auf Merediths Körper? Ich wusste es nicht. Aber einer Sache war ich mir sicher: Guede war dort, Guede hatte in Bezug auf uns gelogen, Guede versuchte sich der Verantwortung für das Verbrechen zu entziehen.
    Guede würde gestehen müssen.
    Verzweifelt hoffte ich, dass er im Zeugenstand die Wahrheit sagen würde. Mit dem Siegel des Obersten Gerichtshofs auf seinem Urteil konnte seine Strafe nicht höher werden, egal, wie stark er sich belastete.
    Da er wirklich nichts mehr zu verlieren hatte, würde er doch sicher sein Verbrechen gestehen und klarstellen, dass Raffaele und ich in der Tatnacht nicht zugegen waren.
    Ich hatte vor, eine an ihn gerichtete Erklärung abzugeben, entweder um ihn damit herauszufordern, die Wahrheit zu sagen, oder um ihm zu danken, dass er es getan hatte. Eine Woche lang legte ich mir Formulierungen zurecht und marschierte dabei in meiner Zelle auf und ab. Auch an Guede hatte ich einen Brief geschrieben, aber nie abgeschickt. Teile daraus flocht ich wie bei den Appellen an Patrick und die Kerchers in meine Erklärung ein.
    In der Zeit bis zu seiner Aussage war ich sehr aufgewühlt. Ich hatte keinen Grund anzunehmen, dass Guede alles gestand – ein Mensch, der fähig ist zu töten, besitzt kein Gewissen. Auch wenn Guede unsere Unschuld bezeugen konnte, würde das nicht ausreichen, um Raffaele und mich zu retten – seine Aussage hatte wenig Gewicht, da er schon früher gelogen hatte und natürlich selbst betroffen war. Aber für uns wäre es ein gewaltiger Schritt nach vorne – und ein unschätzbar großer Trost für mich.
    Als Guede in den Zeugenstand trat, wollte er nicht über den Mord sprechen, sondern nur auf die Behauptungen seiner früheren Zellengenossen eingehen. Staatsanwalt Mignini las dem Gericht einen Brief vor, den Guede angeblich an seine Anwälte geschrieben hatte, nachdem Alessis Behauptungen lautbar wurden. Ich war so erschüttert, dass ich kaum zuhören konnte. Der Brief entsprach nicht im Entferntesten Guedes Bildungsstand. Er klang zu intellektuell für jemanden, der die Schule abgebrochen hatte und nicht gerade ein Vorzeigeschüler gewesen war. Guede bezeichnete Alessi als einen »vulgären, gewissenlosen Menschen« und verurteilte seine »blasphemischen Unterstellungen«. Der Brief endete mit einer Bemerkung zu dem »schrecklichen Mord an einem strahlenden, wundervollen Mädchen, verübt von Raffaele Sollecito und Amanda Knox«.
    Auf Carlos Versuch, ihn festzunageln, verkündete er seiner aufmerksamen Zuhörerschaft: »Es ist nicht an mir zu sagen, wer Meredith getötet hat. Ich habe immer schon gesagt, wer in dieser verfluchten Nacht in dem Haus war.«
    Keinen Augenblick länger konnte ich meinen Zorn im Zaum halten. Ich musste seine Lügen entlarven. Als Guede aus dem Zeugenstand entlassen wurde, bat ich darum, eine Erklärung abgeben zu dürfen. Richter Hellmann wies mich an zu warten, bis Guede nicht mehr im Saal war.
    Ich sah ihm nach, wie er in Handschellen hinausgeführt wurde, und fühlte mich betrogen. Er ekelte mich an. Ich hatte gehofft und geglaubt, dass Guede das Richtige tun würde, denn schließlich war er verdammt noch mal auch nur ein Mensch. Als sich die Türflügel hinter ihm schlossen, formulierte ich meine vorbereitete Erklärung spontan um. »Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass sich

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