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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
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Freudentanz auf, jubelte und schrie: »Das gibt’s nicht, das gibt’s doch nicht! Da hast du’s, Stefanoni, du kriminelle, voreingenommene Lügnerin! Da habt ihr es, ihr sturen, arroganten, selbstgefälligen Kriminellen in der Staatsanwaltschaft! Ihr habt UNRECHT! Und wie ihr UNRECHT habt!«
    Tränen liefen über mein erhitztes Gesicht.
    Irina breitete die Arme aus, und ich umarmte sie, so fest ich konnte. »Ach, Amanda!«, lachte sie. »Pass auf, meine Implantate!«
    Zum ersten Mal in diesen dreieinhalb Jahren in Capanne machte ich vor Freude einen Luftsprung.
    Dann fiel mir Don Saulo ein. Gerade noch hatte ich ihn mit meinen Ängsten belastet. Das muss ich ihm erzählen! Ich rannte zum Gitter in der Zellentür. »Assistente!« Bis die Wärterin kam, die mich gerade erst wieder in die Zelle gelassen hatte, wippte ich vor Aufregung mit den Zehen. Es war ein Unding, schon wieder um das Aufschließen der Tür zu bitten. Egal, Don Saulo muss es erfahren!
    Gelangweilt erschien die Wärterin an der Tür. »Was ist los, Khh-nok-ks?«, fragte sie säuerlich.
    »Ich weiß, ich war gerade erst unten bei Don Saulo«, stieß ich atemlos hervor, »aber ich muss noch mal runter – nur für einen Augenblick. Ich muss ihm die Neuigkeiten erzählen. Das forensische Gutachten ist raus, und alles ist in Ordnung. Ich muss es ihm unbedingt sagen, denn vorhin wusste ich es noch nicht! Okay?«
    Meine Hände umklammerten das Gitter, und ich lehnte mich gegen die Tür, als könnte ich sie mit meinem bloßen Willen aufdrücken.
    Verwirrt sah die Wärterin mich an. »Sie möchten noch einmal zu Don Saulo?«
    »Bitte! Nur ganz kurz!«
    Völlig perplex sperrte sie die Tür auf. Als diese aufschwang, schoss ich heraus und rannte durch den Korridor, was eigentlich streng verboten war. »Ich bin gleich zurück!«, rief ich der Wärterin zu.
    Don Saulo hielt gerade in der Kapelle eine Bibelstunde ab. Strahlend platzte ich herein und umarmte ihn. »Es ist raus!«, flüsterte ich. »Alles ist gut!«
    Als ich zurücktrat, sah ich, dass ihm Tränen in den Augen standen. Die Frauen starrten uns an. Sie hatten Don Saulo schon häufiger weinen gesehen, aber mich noch nie so aufgelöst erlebt. »Was ist passiert?«, fragte eine.
    »Das forensische Gutachten ist da. Es stützt die Verteidigung«, erwiderte ich. »Ich könnte sogar freikommen!«
    »Siehst du? Es gibt einen Gott! Es gibt einen Gott!«, jauchzte Tessy, eine der Nigerianerinnen, der ich bei Briefen an ihre Familie half. Sie sprang auf und umarmte mich. Ebenso Beauty, eine weitere Nigerianerin.
    Ich verabschiedete mich und ging wieder nach oben. Die Wärterin am Eingang zum Korridor funkelte mich wütend an.
    »Es tut mir wirklich leid«, sagte ich. »Ich musste Don Saulo die Neuigkeiten in meinem Fall erzählen.«
    »Das hätten Sie auch morgen tun können«, knurrte sie.
    Den Rest des Abends zappte ich von Kanal zu Kanal und sah mir eine Nachrichtensendung nach der anderen an, nur um immer wieder jene Worte zu hören – »Svolta giudiziaria. Nuova speranza per Amanda e Raffaele« – »Überraschende Wende im Prozess. Neue Hoffnung für Amanda und Raffaele.«

34
    30. Juni – 2. Oktober 2011
    A m nächsten Morgen traf ich frohen Herzens im Freskensaal ein. Die Journalisten riefen: »Amanda, was sagen Sie zu den neuen Untersuchungsergebnissen?« – »Sind Sie aufgeregt?« – »Glauben Sie, dass Sie nach Hause kommen?«
    Ich gab keine Antwort darauf, aber mir gefielen diese neuen Töne.
    Meine Mutter versuchte, sich ihre Freude nicht anmerken zu lassen, das sah ich ihr an. An der Anklagebank drückte mir Carlo die Hand. Raffaele nickte mir lächelnd zu. Wir bemühten uns alle, unsere Emotionen in Schach zu halten. Jetzt waren wir am Zug, wir waren noch nie so nah am Ziel gewesen. Und ich glaube, tief in uns allen saß die Angst, die Staatsanwaltschaft könnte die Untersuchungsergebnisse verwerfen und die Richter sowie die Schöffen davon überzeugen, dass das alte Gutachten das richtige war. Ich wusste, dass sie das versuchen würden. Sie waren in aller Öffentlichkeit bloßgestellt worden.
    Diesmal verlief das Verfahren zu unseren Gunsten. Ich war hocherfreut – was man mir hoffentlich nicht ansah –, als die Gutachter das Vorgehen der Spurensicherung kritisierten. Meine DNA befand sich zwar auf dem Messergriff, aber die DNA-Spuren auf dem Messer waren »untauglich«, weil Patrizia Stefanoni nicht nach den international anerkannten Regeln vorgegangen war, die für die Untersuchung

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