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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
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angehalten, weil wir bemerkt haben, dass die Spüle leckte.«
    »Aber Sie haben gesagt, Sie hätten vorher zu Abend gegessen.«
    »Wahrscheinlich haben Sie recht. Ich denke, die Spüle hat getropft, bevor wir uns den Film angesehen haben, aber ich weiß noch, dass wir ihn irgendwann angehalten haben.«
    »Warum haben Sie ihn angehalten?«
    »Daran kann ich mich nicht mehr erinnern.«
    »Warum? Warum? Um wie viel Uhr?«
    »Ich erinnere mich nicht!«, erklärte ich mit Nachdruck, um sie loszuwerden, aber es klappte nicht. Sie bombardierten mich unerbittlich. Die Fragen schienen einfach zu sein, aber ich hatte keine Antworten. Und je mehr sie fragten, desto mehr verlor ich die Orientierung. Mir wurde heiß. Ich rang nach Luft. Ich hatte meine Tage, und ich spürte, wie ich in meine Unterwäsche blutete. »Ich muss zur Toilette«, sagte ich. »Frauensache.«
    »Jetzt nicht. Haben Sie den Film vor dem Essen oder danach angehalten?«
    »Ich glaube, es war nach dem Essen, aber wenn ich jetzt so darüber nachdenke, haben wir wohl ziemlich spät zu Abend gegessen.«
    »Wieso wissen Sie das nicht mehr? Haben Sie vor oder nach dem Film zu Abend gegessen?«
    »Sie machen mich wahnsinnig!«, schrie ich. »Dabei kann ich nicht nachdenken! Es kommt mir einfach so vor, als hätten wir spät gegessen.«
    Mittlerweile war ihr Ton schrill geworden. »Wieso erzählen Sie es uns nicht einfach? Wieso können Sie sich nicht daran erinnern?«
    Mir war klar, dass sie mich für eine Lügnerin hielten. »Tut mir leid«, sagte ich, »es fällt mir schwer, mich daran zu erinnern, und ich bin wirklich müde. An manchen Abenden haben wir früher gegessen, an anderen später. Mir kam es spät vor, aber ich weiß nicht mehr, wie viel Uhr es war.«
    Ich war erschöpft. In den vergangenen vier Tagen hatte ich nicht mehr als ein paar Stunden geschlafen, und nach dem Schock, den mir Merediths Tod versetzt hatte, und der ständigen Fahrerei zum Polizeirevier und zurück fühlte ich mich innerlich leer. Ich wusste nicht, dass ich sagen konnte: »Wir müssen aufhören, weil ich zu müde bin.« Ich schämte mich, dass ich ihre Fragen nicht beantworten konnte, dass ich versagte. Was konnte ich nur tun, um es besser zu machen? Ich wollte sie unbedingt besänftigen, damit sie mich in Ruhe ließen.
    Die Dolmetscherin, eine Frau in den Vierzigern, kam gegen halb eins. Heute erscheint es mir unglaublich, dass die gesamte Vernehmung bis zu diesem Zeitpunkt auf Italienisch erfolgt war. Ein paar Stunden lang hatte ich mein Bestes gegeben, um durchzuhalten und aus ihren Worten schlau zu werden. »Okay«, sagte ich immer wieder, »ich verstehe.« Ich empfand es stets als demütigend, wenn ich zugeben musste, dass mein Italienisch zu wünschen übrigließ.
    Obwohl ich erraten konnte, was sie meinten, war dies in Wahrheit ein weiteres Beispiel für meine Neigung, die starke Frau zu spielen. Zu jener Zeit war mein Italienisch gerade einmal gut genug, um bei einer Tasse Tee Höflichkeiten auszutauschen. Nach nur sechs Wochen in Italien reichten meine Sprachkenntnisse jedoch bei weitem nicht aus, um mich selbst zu verteidigen.
    Die Dolmetscherin nahm hinter mir Platz. Sie war gereizt und ungeduldig, als hätte ich persönlich sie mitten in der Nacht aus dem Bett geholt.
    Der silberhaarige Polizist und Ficarra waren fast ununterbrochen in dem winzigen Raum. Wenn sie doch einmal hinausgingen, kamen binnen kurzem andere Polizisten und nahmen ihren Platz ein. Manchmal war ich regelrecht umzingelt. Der Aufenthalt in dem winzigen Raum wurde zunehmend unerträglich. Ich musste dringend zur Toilette, musste mich um meine Periode kümmern, hatte aber jetzt zu viel Angst, darum zu bitten.
    In diesem Moment öffnete eine Polizistin die Tür – Monica Napoleoni, die mich am Tatort bezüglich der Exkremente und des Mopps so schroff abgefertigt hatte. »Raffaele sagt, Sie hätten seine Wohnung am Donnerstagabend verlassen«, erklärte sie beinahe schadenfroh. »Er sagt, Sie hätten von ihm verlangt, für Sie zu lügen. Damit hat er Ihr Alibi zunichtegemacht.«
    Mir fiel das Kinn herunter. Ich war sprachlos, am Boden zerstört. Was? Ich konnte nicht glauben, dass Raffaele, der einzige Mensch in Italien, dem ich ganz und gar vertraute, sich gegen mich gewandt hatte. Wie konnte er so etwas sagen, wenn es doch gar nicht stimmte? Wir waren die ganze Nacht zusammen gewesen. Jetzt stand ich vollkommen allein gegen die Polizei; mein Wort stand gegen ihres. Mir war nichts mehr

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