Zeit, gehört zu werden (German Edition)
ist?«
»Tut mir wirklich leid, dass ich das gesagt habe.« Ich verzog das Gesicht. »Ich hatte Angst davor, Ihnen zu erzählen, dass wir alle hin und wieder Marihuana geraucht haben, auch Meredith. Wenn wir mit den Jungs oder mit Filomena und Laura abgechillt haben, ließen wir manchmal einen Joint rumgehen. Aber Meredith und ich haben nie Gras gekauft – wir kannten keine Drogendealer.«
Sie schloss die Tür, deutete auf einen Klappstuhl aus Metall und nahm auf der anderen Seite des Tisches Platz. Der silberhaarige Polizist zog sich einen Stuhl heran und setzte sich direkt neben mich, sodass der Raum praktisch in zwei Hälften geteilt wurde. Das Licht war hell. Die Wände waren kahl. Es gab nichts anderes anzuschauen als die Polizisten. »Wir holen eine Dolmetscherin«, erklärte sie.
Während wir auf die Dolmetscherin warteten, sagte sie: »Erzählen Sie uns mehr darüber, wie es war, als Sie Meredith zum letzten Mal gesehen haben.«
Das tat ich.
Dann sagte sie: »Gut. Wir möchten, dass Sie uns haarklein schildern, was geschehen ist.«
Ich dachte immer noch, sie wollten mit meiner Hilfe mehr über Meredith erfahren – über ihre Gewohnheiten, wen sie kannte, wer ein Motiv gehabt haben könnte, sie umzubringen. Ich versuchte, so präzise wie möglich zu beschreiben, um welche Zeit Meredith gegangen war. »Ich glaube, es war so gegen zwei Uhr nachmittags – ein oder zwei Uhr. Ich weiß es nicht genau. Ich trage keine Armbanduhr, und die Zeit spielte keine Rolle – es war ein Feiertag. Aber ich weiß, dass es nach dem Mittagessen war.«
Dann änderten sich die Fragen. »Wann haben Sie das Haus verlassen?«, wollten die beiden wissen.
Als sie mich darüber auszufragen begannen, was ich getan hatte, dachte ich zunächst, sie wollten nur testen, ob ich die Wahrheit sagte – vielleicht weil ich in Bezug auf unseren Marihuana-Konsum gelogen hatte.
»Vor dem Abendessen«, sagte ich. »So gegen vier vielleicht.«
»Sind Sie sicher, dass es so gegen vier war? War es vier Uhr oder fünf Uhr? Haben Sie nicht auf die Uhr geschaut?«
»Nein. Wir sind zu Raffaele gegangen.«
»Wie lange haben Sie bis dorthin gebraucht?«
»Keine Ahnung – ein paar Minuten. Er wohnt nicht weit weg.«
»Und was ist danach passiert?«
»Nichts. Wir haben zu Abend gegessen, uns einen Film angesehen, einen Joint geraucht und Sex gehabt. Dann sind wir schlafen gegangen.«
»Sind Sie sicher? Sonst nichts?«
»Hm … ich habe eine SMS von meinem Chef bekommen, dass ich an diesem Abend nicht arbeiten müsste.«
»Um wie viel Uhr war das?«
»Ich glaube, so um acht Uhr herum – ungefähr. Vielleicht auch schon vorher.« Jedenfalls bevor ich normalerweise zur Arbeit gegangen bin, dachte ich. »Vielleicht um sieben oder um acht?«
Das war ihnen nicht gut genug.
Sie fragten weiter nach den genauen Zeiten, und weil ich mich nicht entsinnen konnte, was von sieben bis acht und von acht bis neun Uhr passiert war, vermittelten sie mir den Eindruck, dass meine Erinnerung trog. Ich wurde allmählich unsicher. Raffaele und ich hatten jeden Abend in der vergangenen Woche einen Film angesehen, Essen gemacht, Harry Potter gelesen, einen Joint geraucht und miteinander geschlafen – in unterschiedlicher Reihenfolge. Auf einmal vermischte sich alles, sodass ich nicht mehr wusste, was wir am Donnerstag, dem 1. November, um welche Zeit gemacht hatten. »Tut mir leid, tut mir leid«, sagte ich immer wieder.
Ich hatte Angst, ihnen zu gestehen, dass ich sieben und acht Uhr nicht auseinanderhalten konnte, und geriet allmählich in Panik, weil sie genau das von mir verlangten. Mein Herz klopfte wie wild, meine Gedanken rasten, und der Druck auf meine Schläfen war so stark, dass es sich anfühlte, als würde mir der Schädel platzen.
Ich konnte nicht nachdenken. Während ich mich noch abmühte, zwischen diesem und jenem Zeitpunkt, dieser oder jener Abfolge von Ereignissen zu unterscheiden, begann ich auf einmal, alles zu vergessen. Mir schwirrte der Kopf. In meinem Hirn herrschte gähnende Leere.
»Wie war es denn nun?«
Ich holte tief Luft. »Das weiß ich nicht mehr.«
Ficarra streckte aggressiv die Hand aus. »Zeigen Sie mir Ihr Handy«, verlangte sie.
Ich gab es ihr. Während die beiden es checkten, bestürmten sie mich weiter mit Fragen. »Welchen Film haben Sie sich angeschaut?«
»Die fabelhafte Welt der Amélie.«
»Wie lang ist der?«
»Weiß ich nicht.«
»Haben Sie ihn sich bis zu Ende angesehen?«
»Irgendwann haben wir ihn
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