Zeit, gehört zu werden (German Edition)
alle Mühe!«
Der Druck war enorm – nicht nur, weil ich in ein Büro eingeschlossen war. Unaufhörlich wurde ich von Leuten angeschrien, denen ich doch vollständig vertraute, von Leuten, die ich zu respektieren gelernt hatte. Alles fühlte sich größer, überwältigender, erstickender an, als es war, weil ich diesen Leuten helfen wollte und sie mir nicht glaubten, sondern mir ständig einredeten, ich würde mich irren.
Sie behaupteten, ich wäre in unserem Haus gewesen – sie hätten Beweise dafür. Sie behaupteten, ich hätte Raffaeles Wohnung verlassen. Raffaele habe es selbst gesagt. Sie behaupteten, ich hätte ein Trauma und eine Amnesie. Ich hatte seit Tagen nicht mehr geschlafen. Ich durfte den Raum nicht verlassen, und sie ließen mir keine Sekunde Zeit zum Nachdenken. Nichts hatte Substanz. Nichts schien real zu sein. Ich glaubte ihnen. Ihre Version der Realität gewann die Oberhand. Ich war verängstigt, verwirrt, verzweifelt, und es gab kein Entrinnen.
Leute brüllten mich an. »Vielleicht erinnern Sie sich bloß nicht, was geschehen ist. Denken Sie nach. Denken Sie nach. Mit wem haben Sie sich getroffen? Mit wem haben Sie sich getroffen? Sie müssen uns helfen. Sagen Sie es uns!«
Ein Polizist rief mit dröhnender Stimme: »Sie wandern für dreißig Jahre ins Gefängnis, wenn Sie uns nicht helfen!«
Die Drohung hing in der Luft.
Ich fühlte mich immer kleiner, immer hilfloser. Es war mitten in der Nacht. Ich hatte Angst und verstand nicht, was los war. Sie setzten mich sicher nicht grundlos so unter Druck. Sie sagten mir sicher die Wahrheit. Raffaele sagte sicher die Wahrheit. Ich traute meinem Verstand nicht mehr. Ich glaubte der Polizei. Ich konnte nicht mehr unterscheiden, was real war und was nicht. Es gab einen Moment, in dem ich mich zu erinnern glaubte.
Der silberhaarige Polizist nahm meine Hände in seine. »Ich möchte Ihnen wirklich helfen«, sagte er. »Ich möchte Sie retten, aber Sie müssen mir sagen, wer der Mörder ist. Sie müssen es mir sagen. Sie wissen, wer der Mörder ist. Sie wissen, wer Meredith getötet hat.«
In diesem Moment hakte es bei mir aus.
Ich glaubte wahrhaftig, mich zu erinnern, dass ich mich mit jemandem getroffen hatte. Ich verstand nicht, was mit mir geschah. Ich erkannte nicht, dass ich drauf und dran war, die falsche Person zu belasten. Ich begriff nicht, was auf dem Spiel stand. Ich glaubte nicht, dass ich etwas erfand. Mein Verstand setzte zusammenhanglose Bilder zusammen. Vor meinem geistigen Auge erschien ein Bild von Patricks Gesicht.
Ich hielt den Atem an. Ich nannte seinen Namen. »Patrick – es ist Patrick.«
Ich begann, hemmungslos zu schluchzen. »Wer ist Patrick?«, fragten sie. »Wo ist er? Wo ist er?«
»Er ist mein Chef.«
»Wo haben Sie sich mit ihm getroffen?«
»Ich erinnere mich nicht.«
»Doch, Sie erinnern sich sehr wohl.«
»Ich weiß es nicht – auf dem Basketballplatz.«
»Weshalb hat er sie umgebracht? Weshalb hat er sie umgebracht?«
»Ich weiß es nicht.«
»Hatte er Sex mit Meredith? Ist er mit Meredith in ihr Zimmer gegangen?«
»Ich weiß es nicht. Vermutlich. Ich bin ganz durcheinander.«
Sie begannen mich zu behandeln, als wäre ich ausgenutzt worden. Sie erklärten mir, sie würden mir helfen – sie wollten an die Wahrheit herankommen. »Wir tun unser Bestes für Sie.«
Jetzt waren sie sanfter, aber ich hatte völlig den Boden unter den Füßen verloren – ich wusste nicht mehr, was real war, wovor ich Angst hatte, was ich mir einbildete.
Ich weinte lange.
Um Viertel vor zwei gaben sie mir ein Blatt Papier mit einem italienischen Text und forderten mich auf, ihn zu unterschreiben.
Am Donnerstag, dem 1. November, einem Tag, an dem ich normalerweise arbeite, bekam ich gegen 20.30 Uhr, während ich mich in der Wohnung meines Freundes Raffaele aufhielt, auf meinem Handy eine Nachricht von Patrik [sic], der mir mitteilte, der Club bleibe in dieser Nacht geschlossen, weil keine Gäste da seien, und ich brauchte deshalb nicht zur Arbeit zu erscheinen.
Ich antwortete ihm daraufhin, dass wir uns unverzüglich treffen sollten. Dann verließ ich das Haus. Meinem Freund sagte ich, ich müsse zur Arbeit. Da ich am Nachmittag bei Raffaele einen Joint geraucht hatte, war ich verwirrt, denn solch starke Drogen nehme ich nicht oft.
Patrick und ich trafen uns anschließend auf dem Basketballplatz auf der Piazza Grimana, und wir gingen zusammen zum Haus. Ich weiß nicht mehr, ob Meredith schon dort war oder kurz nach uns
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