Zeit, gehört zu werden (German Edition)
Wie konnte ich ihr das erklären, wo ich es doch nicht einmal selbst verstand? Für mich war das Wichtigste, dass meine Mutter mir glaubte.
Als wir uns endlich losließen, schob ich zwei Stühle dicht aneinander, da die Wärterin, die mich bewachte, zum Glück weniger strikt als manche andere war, was den Kontakt zwischen Besuchern und Häftlingen betraf.
Wie in jedem anderen Raum dieses Gefängnisses, den ich bisher kennengelernt hatte, war es hier eisig kalt. Meine Mutter hielt meine Hände auf ihrem Schoß und rubbelte sie. Ich kannte dieses besondere Gefühl ihrer Hände – die einzigen Erwachsenenhände, die so klein wie meine sind, aber immer wärmer als meine. Sie sah mich an, als wollte sie mich einsaugen. Ihre verspannte Miene zeugte von dem Versuch, die Tränen zurückzuhalten. Es machte mich fertig, meine Mutter so außer sich zu sehen und zu wissen, dass ich der Grund dafür war. Doch selbst in dieser Verfassung war mir der Anblick ihres Gesichts – das mir vertrauter vorkam als mein eigenes – ein Segen.
Ich schilderte meine Vernehmung Schritt für Schritt – die wiederholten Fragen, das Gebrüll, die Drohungen, die Schläge. Ich erklärte ihr, welche schreckliche Angst ich gehabt hatte.
»Ich bin ja nicht von allein auf diese Geschichte gekommen«, sagte ich. »Sie wussten, dass ich mit Raffaele die ganze Nacht in seiner Wohnung gewesen war. Aber plötzlich wollten sie wissen, warum ich angeblich noch einmal losgegangen war, wen ich treffen wollte, wer Patrick war, ob ich ihn in die Villa gebracht hatte. Sie behaupteten steif und fest, ich wüsste, wer der Mörder ist, und ich käme für dreißig Jahre ins Gefängnis, wenn ich nicht kooperieren würde.«
»Amanda«, sagte sie mit weit aufgerissenen Augen, »ich kann es nicht fassen, dass du das alles allein durchstehen musstest.«
Ich erklärte ihr, ich hätte die Zeugenaussagen aus Verwirrung und Erschöpfung unterschrieben, aber im ersten stillen Moment für mich begriffen, dass das, was ich da unter Druck ausgesagt hatte, vielleicht gar nicht stimmte. »Ich dachte, ich könnte meine Fehler korrigieren, indem ich alles schriftlich kläre«, sagte ich. »Aber stattdessen bin ich verhaftet worden.«
Meine Mutter hörte mir zu, zog mich enger an sich. Es gab nicht einen einzigen Moment, in dem es mir vorgekommen wäre, als würden meine Worte sie nicht erreichen.
Als ich mit meiner Geschichte fertig war, brachte ich den Mut auf, ihr die Frage zu stellen, die mich immer in Panik versetzt hatte, sobald ich daran dachte. Was soll ich tun, wenn sie »Nein« sagt oder »Ich weiß nicht«?
Ich atmete einmal tief durch. Ihr in die Augen zu schauen traute ich mich nicht. »Glaubst du mir?«
Die Überraschung konnte ich ihr deutlich ansehen. Und dann die Traurigkeit. »Ja, natürlich glaube ich dir! Ach meine Süße, was denn sonst?«
Die gewaltige Last, die ich herumgeschleppt hatte, fiel von mir ab. Ich fühlte mich schwindlig vor Erleichterung. Dies war das erste Mal seit der Zeit vor meiner Verhaftung, dass ich mit jemandem sprach, der wusste, dass ich unschuldig war, der an mich glaubte. Das zu hören hatte ich mich seit Tagen gesehnt – von wem auch immer! Natürlich erfuhr ich es vom wichtigsten Menschen in meinem Leben.
Es gab noch eine Frage, die ich ihr unbedingt stellen musste. »Woher wusstest du überhaupt, dass ich im Gefängnis bin? Woher wusstest du, wie du mich finden würdest? Die haben mir nicht erlaubt, an mein Handy zu gehen, als du anriefst. Ich durfte dich nicht zurückrufen.«
»Ein Freund von Chris hat bei uns zu Hause angerufen, nachdem du verhaftet worden warst«, sagte sie, wieder in Tränen. »So hat er es erfahren. Mein Anschlussflug nach Rom war gestrichen worden, und ich war gerade in Zürich gelandet, als er mich anrief. Ich konnte es einfach nicht glauben. Gleich nach dem Telefonat rannte ich zur Toilette, um zu kotzen. Dann musste ich deinen Vater anrufen. In Seattle war es mitten in der Nacht. Ich fand es furchtbar, eine so schreckliche Nachricht auf seiner Mailbox zu hinterlassen, die er gleich nach dem Aufwachen würde verdauen müssen, aber ich hatte ja keine andere Wahl. Ich musste ihm Bescheid geben. Ich habe alles in Bewegung gesetzt, um rechtzeitig bei dir anzukommen. Aber mir blieb nichts weiter übrig, als in Zürich stundenlang auf einen anderen Flug nach Rom zu warten. In Perugia bin ich erst gegen drei Uhr morgens angekommen. Und da warst du ja schon im Gefängnis. Ich habe einen hysterischen
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