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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
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Lügen überredet.
    Ein blutiger Fußabdruck, der angeblich zu Raffaeles Nikes passte, fand sich in unserer Villa, und das Taschenmesser, das er an seiner Gürtelschlaufe trug, wurde als vergleichbar mit der Mordwaffe angesehen.
    Die Stellungnahme der Richterin kam zu dem Schluss, wir hätten »den Anschein verloren, Zeugen zu sein, und sind Verdächtige geworden«, als ich angegeben hätte, dass Patrick Meredith umgebracht habe; dass ich mir nicht sicher gewesen sei, ob Raffaele mich begleitet habe, ich aber am nächsten Morgen in seinem Bett aufgewacht sei.
    Dies war nur der Beginn der vielen Erfindungen und Erkenntnissprünge der Staatsanwaltschaft, die meine Verwicklung in Merediths Mord zu beweisen versuchte, wohingegen meine Anwälte alles daransetzten, meine Unschuld zu beweisen.

    Etwa eine Stunde nach meiner Rückkehr von der Verhandlung in die Zelle kam agente Lupa an meine Tür. »Suchen Sie Ihre Sachen zusammen«, sagte sie mit breitem Lächeln. »Ich hab die Aufseher beredet, Ihnen eine Zellengenossin zuzuteilen, damit Sie nicht so allein sind. Ich bringe Sie jetzt über den Flur.«
    Obwohl ich ihr dankbar für ihre Bemühung war, musste ich, auf engstem Raum mit einer Reihe von Frauen zusammengepfercht, die ich nicht kannte, die ich oft nicht mochte und selten ins Vertrauen schloss, unwillkürlich an den Ausdruck »es zu gut meinen« denken. Manchmal dachte ich sogar, dass die verrückten Zellengenossinnen nur ein anderer von der Staatsanwaltschaft geplanter Versuch waren, mich mürbe zu machen.
    Gufa, meine erste Zellennachbarin, saß ein, wie ich später erfuhr, weil sie das Baby umgebracht hatte, das sie von ihrem eigenen Vater empfangen hatte. Sie war Ende vierzig, hatte kariöse Zähne, fettige graue Haare und im Gesicht und an den Armen wunde Stellen, an denen sie ständig herumkratzte. Da ich nicht wusste, woher sie die hatte, mochte ich mich nicht auf den WC-Rand setzen – eine Brille gab es nicht –, aus Sorge, es könnte etwas Ansteckendes sein.
    Die Brille mit den riesigen Gläsern, die sie trug, verlieh ihr das Aussehen einer Eule, und so klang sie auch. Wenn ich hereinkam, kreischte sie auf mich ein, und das in einem Dialekt, den ich kaum verstehen konnte, um mir mitzuteilen, wo ich meine Sachen hintun, wie ich mein Bett machen sollte. Sie hielt den Raum dunkel, weil sie tagsüber immer mal wieder eine Runde Schlaf einlegte. Sie sammelte Müll – Einwickelpapier, Kugelschreiber mit leeren Minen, benutzte Taschentücher –, den sie in ihrem Kleiderschrank hortete wie ein Eichhörnchen seine Nüsse. Obwohl ich ihr nie nachgab, beharkte sie mich neugierig. Sie bestand darauf, über meinen Fall Bescheid zu wissen, wollte, dass meine Anwälte sie zu ihrem berieten, und plagte mich ständig damit, ihr Snacks und andere Lebensmittel von dem Bestellschein zu kaufen, den wir jede Woche bekamen.
    Dennoch war sie weder aggressiv noch boshaft wie andere Zellengenossinnen, die ich irgendwann hatte. Auf ihre verquere Art versuchte Gufa, sich um mich zu kümmern, wie eine Hauskatze, die einem eine frisch getötete Ratte vor die Füße legt.
    Aber vor allem anderen wünschte ich mir, dass die Wärterinnen die Tür aufschlossen und mich hinausließen. Ich wollte meine Mutter sehen. Bis dahin wollte ich einfach in Ruhe gelassen werden.
    Am Tag nach meiner Vorverhandlung erschien tatsächlich eine agente mit einem großen goldenen Schlüssel an meiner Zelle und schloss auf. Aber nicht aus dem Grund, den ich erhofft hatte.
    Sie packte mich am Arm und führte mich zu einem Schreibtisch an der Rezeption im großen Eingangsbereich. Dort schob mir ein Wärter ein Blatt Papier zu. » Firmi quà, prego« , sagte er.
    »Hier unterschreiben? Was ist das denn?«, fragte ich.
    »Die richterliche Anweisung«, erklärte der Aufseher, ohne die Stimme zu heben. »Die Bestätigung Ihrer Festnahme. Darin heißt es, die Richterin wendet die Vorsichtsmaßnahme der Untersuchungshaft für die Dauer eines Jahres an.«
    »Ein Jahr!«, schrie ich.
    Der Schock war so immens, dass ich mich hinsetzen musste. Den Kopf zwischen den Knien, erfuhr ich, wie unterschiedlich die Gesetzgebung in Italien und in den USA sein kann. In Italien erlaubt es das Gesetz, verdächtige Personen ohne Anklage bis zu einem Jahr lang in Haft zu halten, wenn ein Richter die Vermutung hegt, sie könnten fliehen, Beweise fälschen oder ein Verbrechen begehen. In den USA muss ein Verdächtiger angeklagt werden, um inhaftiert werden zu können.
    Ich konnte

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