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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
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nur mir selbst die Schuld an meiner Lage geben. Hätte ich den Willen aufgebracht, mich während meiner Vernehmung an die Wahrheit zu halten, wäre ich nie im Knast gelandet. Dass ich das zugelassen hatte, musste ich mir selbst zuschreiben, weil ich auf die suggestive Vernehmungstaktik der Polizei hereingefallen war. Ich war schwach gewesen. Und dafür hasste ich mich.
    Aber jetzt empfand ich eine neue Form von Hilflosigkeit. Jetzt begriff ich, dass keine Erklärungen gegenüber der Polizei, keine memoriali die Geschichte mehr aufklären würden. Mein Schicksal war vollkommen abhängig von den Ermittlern. Ich würde erst entlassen werden, wenn die Staatsanwaltschaft die Beweisanalyse abgeschlossen hatte. Erst dann würde klar werden, dass ich überhaupt nichts mit dem Mord zu tun hatte.
    Gottlob kann ich mich darauf verlassen, dass meine Unschuld mich retten wird!
    Doch als meine Anwälte mich an diesem Nachmittag besuchten, trösteten sie mich nicht mit der Hoffnung auf eine schnelle Lösung. Wahrscheinlich wussten sie schon, was ich noch nicht wusste: dass ich in den Knast abgeschoben worden war, damit der Staatsanwalt, Giuliano Mignini, die Untersuchungen in die Richtung lenken konnte, die ihm ins Konzept passte.
    Ich schwankte zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Meine Zukunft hing in der Schwebe. Ich konnte nichts weiter tun, um mich der Staatsanwaltschaft zu erklären. Ich konnte nicht an die Uni zurückkehren. Ich konnte nicht einmal Raffaele fragen, warum er seine Aussage geändert hatte. Ich konnte über Weihnachten nicht nach Hause reisen. Ich fühlte mich, als würden alle Lichter ausgehen. Auf meinem Bett sitzend, die Arme um die Knie geschlungen, dachte ich: Hier kann ich kein ganzes Jahr bleiben. Das würde ich nicht überleben .

Zweiter Teil
    Capanne I
       

15
    10.–13. November 2007
    D er Mensch, nach dem ich mich am meisten gesehnt hatte, saß allein an einem Holztisch. Meine Mutter. Ihr glattes Haar hing ihr schlaff ums Gesicht. Wie immer zupfte sie an ihren Fingernägeln. Ich wusste, ohne hinzusehen, dass sie bis zum Fleisch heruntergekaut waren – so reagierte meine Mutter auf jeden Stress. Als ich den kleinen Raum betrat, sprang sie auf, kam mir entgegengelaufen und begann zu weinen – ein Spiegelbild der Erleichterung, die ich empfand, als ich sie vor mir sah.
    Ihr Gesicht strahlte Sorge und Fürsorge aus, genau den Ausdruck, den ich von ihr kannte, wenn ich mit Liebeskummer zu ihr kam oder in einer Prüfung nicht so gut wie erhofft abgeschnitten hatte oder zugeben musste, dass ich Marihuana geraucht hatte. Ihr Einfühlungsvermögen und ihr guter Rat gaben mir immer das Gefühl, auf festem Grund zu stehen. Während meiner Schulzeit war ich nie in Schwierigkeiten geraten, hatte aber immer gewusst, dass sie mich im Notfall unterstützen würde. Und wenn ich mit mir selbst nicht im Reinen war, versicherte sie mir, dass ich es wert war, glücklich zu sein.
    Jetzt saß mir meine »Ich helfe dir, wo du auch steckst, ohne Fragen zu stellen«-Mutter in einem leeren Raum des Gefängnisses Capanne gegenüber. Diesmal konnte sie nicht einfach dafür sorgen, dass alles verschwand, was mich belastete. Diesmal konnte sie nichts weiter tun, als mich zu trösten.
    Nachdem wir zuerst durch einen Ozean und zwei Kontinente und dann durch Gefängnisbürokratie, -mauern und -gitter getrennt worden waren, umarmten wir uns so fest, dass wir kaum mehr Luft bekamen. Meine Mutter rang sich ein Lächeln ab, doch ihr liefen die Tränen über die Wangen und mir in die Haare, während sie mich an sich drückte. »Mein Schatz, mein Schatz«, flüsterte sie. »Ich hab dich so lieb. Mir war schon schlecht vor Sehnsucht nach dir.«
    Noch während sie mich im Arm hielt, fragte sie: »Wie geht es dir? Die Polizei behauptet, du hättest gesagt, du wärst dort gewesen, zusammen mit Patrick. Es kursieren lauter schreckliche Geschichten über dich. Woher kommen denn diese Gerüchte? Du musst mir alles erzählen.«
    »Es tut mir so leid, Mom. Es tut mir so leid«, heulte ich los. »So weit hätte es nie kommen dürfen.«
    Ich hatte viel zu erklären. Nach vier Tagen, in denen ich herumkommandiert und ignoriert worden war, konnte ich mich endlich gegenüber dem Menschen aussprechen, der mir immer zugehört hatte. Und dennoch fürchtete ich, das überwältigende Bedürfnis, der Polizei zu sagen, was sie hören wollte, würde für niemanden Sinn ergeben, der nie in eine solche Situation geraten, nie so weit getrieben worden war.

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