Zeit, gehört zu werden (German Edition)
Anfall gekriegt.«
Seit der Voruntersuchung war mir klar, dass meine Mutter mich nicht aus dem Knast befreien konnte. »Jetzt werde ich hierbleiben müssen, bis der Staatsanwalt kapiert, dass es überhaupt keine Beweise gegen mich gibt – dass ich nicht bei Merediths Ermordung anwesend war.«
Meine Mutter drückte meine Hände. »Ich verspreche dir, dass sich alles aufklärt, Amanda. Es ist nicht deine Schuld, dass die Polizei dir solche Angst eingejagt hat – du wolltest doch nur zur Aufklärung beitragen.«
Die Wärterin zog die Tür auf. »Zeit, zu gehen, Knox«, sagte sie. Sie sprach meinen Namen auf eine Art aus, wie es alle Gefängnisbeamten taten – »Khh-nok-ks.« Es klang, als würden sie versuchen, das Geräusch eines Hammers beim Fallen nachzuahmen.
Meine Mutter hielt mich noch einen Moment länger fest. Wir weinten beide, aber es ging mir so viel besser, weil ich sie gesehen hatte. Ich bat nicht darum, länger mit ihr zusammen sein zu dürfen, weil ich wusste, dass die Antwort nein lauten würde. Allein schon die Bitte mochte mich in Schwierigkeiten bringen.
»In ein paar Tagen bin ich da – sobald sie mich lassen«, rief mir meine Mutter hinterher. »Carlo und Luciano werden kommen, um wieder mit dir zu sprechen, und dein Dad fliegt demnächst ein. Wir haben es mit einem riesigen Missverständnis zu tun, das sich bald aufklären wird. Wir bleiben hier bei dir, solange es dauert. Wir stehen das zusammen durch. Ich hab dich so lieb.«
Als ich in meine Zelle zurückgeleitet wurde, fühlte sich mein Herz wie geschwollen an.
Erst kürzlich hat meine Mutter gestanden, wie nervenaufwühlend unser Wiedersehen für sie gewesen war. Sie konnte sich kaum zusammenhängend ausdrücken, so mächtig empfand sie den Ansturm von Gefühlen: »Ohne dich aus dem Gefängnis rauszugehen bei dem ersten Mal und bei vielen anderen Malen, waren die schwersten Gänge in meinem ganzen Leben – die reinste Folter.«
Drei Tage später kamen meine Mutter und mein Vater gemeinsam zum colloquio – der Besuchsstunde. Ich erinnere mich noch, dass ich dachte, als ich hereinkam und die beiden sah: Es muss richtig mies für mich aussehen, wenn Dad auch hier ist .
Natürlich machte ich mir keine Illusionen mehr darüber, in welchen Schwierigkeiten ich steckte. Aber meinen Vater vor mir zu sehen trug zu dem Schock bei. Ich war es nicht gewohnt, ihn so hautnah in mein Leben einzubeziehen. Meine Festnahme hatte ihn offensichtlich erschüttert. Er wirkte vorsichtiger als früher. Er weinte nicht, als ich hereinkam, schluckte aber heftig und hielt mich lange fest, bevor er losließ. Immer wieder räusperte er sich. Seine Augen waren entzündet.
Dies war die erste Reise meines Vaters außerhalb der Vereinigten Staaten und das zweite Mal, dass wir drei an einem Tisch zusammensaßen. Ich war wieder Kind. Meine Eltern trafen alle größeren Entscheidungen für mich – und ich wusste, dass die 4800 Dollar, die ich auf der Bank liegen hatte, nicht einmal die Kosten für zwei Last-Minute-Tickets von Seattle nach Rom decken konnten, von den Rechnungen, die meine Anwälte bestimmt schon jetzt zusammenstellten, ganz zu schweigen.
Dass ich im Gefängnis saß, änderte nichts an der Dynamik zwischen meinen Eltern. Sie wirkten nicht, als wären sie plötzlich enge Freunde. Sie zeigten keine Zuneigung füreinander. Sie konzentrierten sich beide auf mich. Aber ich hätte schier platzen können vor Liebe, weil sie trotz ihrer gescheiterten Ehe imstande waren, eine gemeinsame Front aufzubauen. Sie hatten diesen Besuch zusammen geplant. Sie sprachen gemeinsam mit Luciano und Carlo. In der unpersönlichen Atmosphäre eines Gefängnisses – nackte weiße Wände, hartes Neonlicht, ein grauer metallener Aktenschrank und immerhin eine Comiczeichnung von Umbrien –, während eine Wärterin die Uhr im Auge behielt, fühlte sich unsere Zeit zusammen nicht annähernd so gezwungen an wie das gemeinsame Mittagessen im Café in Seattle. Wir drei saßen auf derselben Seite des Tisches, unsere Stühle so dicht aneinandergestellt wie irgend möglich. Ich war in der Mitte, Hand in Hand mit meiner Mutter auf der einen und meinem Vater auf der anderen Seite.
In Capanne waren acht Stunden pro Monat für Besuche vorgesehen – jeweils dienstags und samstags –, aber das Gefängnis gewährte jedem Insassen nur sechs Besuche. Dies machte meine Eltern wütend, die jedes Mal da sein wollten, wenn das Gefängnis für Besuche offen stand. Auch mich machte es
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