Zeit-Odyssee
aus dem Fels gerissen und hier deponiert worden.
Ich war im sicheren Hafen gelandet, in meiner Heimatstation. Dies war es, was mir Nel Jard hatte sagen wollen. Er hatte gewartet, bis ich draußen war, und dann einen Hebel gezogen. Ein Notverfahren, von dem der normale Agent keine Ahnung hatte.
Jard hatte zweifellos das Richtige getan. Der Feind hatte vor den Toren gestanden. Nur einige Sekunden noch, und die Schutzbarrieren wären unter der Überlastung zusammengebrochen. Und alle Geheimnisse des Nexx-Zeitlenksystems wären dem Feind in die Hände gefallen. Jard hatte etwas unternehmen müssen. Eine Zerstörung war unmöglich. Darum hatte er dies getan.
Die Tatsache, daß dies eine Technologie erforderte, die weit über die Möglichkeiten des Nexx hinausgingen, soweit sie mir selbst bekannt waren, war ein Problem, um das ich mich später kümmern würde. Zuvor verlangten wichtigere Dinge meine Aufmerksamkeit.
In den paar Minuten, die ich dort gewesen war, hatte er mir eine Nachricht gegeben, irgend etwas, was ich jemandem mitteilen sollte, irgend jemandem, irgendwo. Ich hatte kein Wort verstanden von dem, was er sagte, das war ihm jedoch in der Aufregung entgangen. Er hatte mich hinausgedrängt, bis zehn gezählt und den Hebel umgelegt. Dann war die Station fort, aber ich war gerettet.
Und dann hatte ich all seine Bemühungen zunichte gemacht, indem ich mein eingebautes Schaltsystem dazu benutzte, dorthin zurückzuspringen, wo ich nichts zu suchen hatte.
Die Null-Phase – dieses Wort kam mir auf einmal in den Sinn. Ein rein theoretischer Begriff, auf den ich bei meiner technischen Lektüre gestoßen war. Anscheinend war er jedoch mehr als reine Theorie.
Ein Ort außerhalb der Zeit und außerhalb des Raumes. Der Punkt der Null-Amplitude in den Oszillationen des Hyle-Feldes, das wir Raum-Zeit nennen.
Ich wanderte durch den Raum; unbewußt spürte ich meine Füße auf den Boden treffen, hörte ich das leise Wispern der Luftumwälzanlage, das Summen der Apparaturen. Alles, was ich sah, hörte, roch, berührte, wirkte absolut normal – alles, bis auf das, was draußen vor der Tür war.
Aber wenn dies die Dinosaurier-Strand-Station war – wo war das Loch in der Wand des Aufenthaltsraumes geblieben, durch das ich erst wenige Stunden zuvor hereingekommen war? Wo waren die Trümmer und der Rauch, wo waren die Toten und die Ruinen?
Das ganze Gebäude war sauber und unbeschädigt. Ich zog eine Band-Schublade heraus. Alles war wohlgeordnet, nirgends ein Zeichen hastigen Aufbruchs, nirgends ein Anhaltspunkt für einen feindlichen Angriff oder ein hektisches Durcheinander. Nur eben keine Menschen und nicht besonders viel Umgebung.
Es war das »Marie Celeste«-Syndrom in der Potenz. Und ich war immer noch an Bord.
Ich ging in den Speisesaal und fand zwei Tabletts mit Überresten einer Mahlzeit – noch ziemlich frisch: Die einzige Ausnahme in der totalen, unpersönlichen Ordnung, die in der Station herrschte.
Ich drückte auf den Restevernichtungsknopf und ließ mir, ebenfalls per Knopfdruck, auch eine Mahlzeit kommen. Dampfend heiß kam sie aus dem Schlitz: Syntho-dies und Pseudo-das. Ich dachte an gebackenen Schinken und Maiskolben – und an Lisa, die in der duftenden Sommernacht auf mich wartete …
Verdammt – so war das alles nicht gedacht! Ein Agent ging hinaus, erledigte seinen Auftrag, engagierte sich und riß sich, dem Ruf der Pflicht folgend, wieder los – unter der Voraussetzung, daß die Qual der Erinnerung von unserem freundlichen Gehirnwäscher gnädig ausgelöscht werden würde. Es war nicht abgemacht, daß ich hier im Zwielicht in einer menschenleeren Station sitzen, Sägemehl und Asche essen und mich nach einer Stimme, einem Lächeln, einer Berührung sehnen sollte …
»Genug damit!« befahl ich mir streng und erschrak vor dem Hall meiner Stimme in der verlassenen Station. Es gibt für alles eine ganz simple Erklärung, sagte ich mir, dieses Mal stumm.
»Nur mit der Ruhe«, sagte ich laut. Von mir aus konnte das Echo hallen, soviel es wollte. »Der Transfer-Prozeß versetzte die Station in eine frühere Zeit zurück. Dieselbe Station, eine andere Zeit. Oder vielleicht überhaupt keine Zeit. Die Mathematik wird das schon herausfinden. Die Tatsache, daß ich selbst davon nichts verstehe, spielt keine entscheidende Rolle. Die Station existiert – irgendwo –, und ich bin in der Station. Die Frage ist nur, was mache ich jetzt?«
Die Luft um mich herum war drückend und still wie Weihrauch bei
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