Zeit-Odyssee
Finsternis hellte sich nicht im geringsten auf. Eindeutig hatte ich den Ort, an dem ich mich befunden hatte, verlassen; der Ort meiner Ankunft jedoch erschien mir nicht sehr real.
Mühsam versuchte ich Luft zu holen, konnte es aber nicht. Das gab den Ausschlag.
Ich rappelte mich auf, trat einen Schritt vorwärts und gelangte wie durch einen Vorhang in absolute Stille und ein seltsam schwärzliches Licht, das von kleinen, leuchtenden Punkten durchschossen war, wie man sie sieht, ehe man durch hohen Blutverlust ohnmächtig wird. Bevor ich jedoch den Kopf zwischen die Knie stecken konnte, ließ die Benommenheit nach, und ich stand im Transferraum einer normalen Nexx-Station.
Und konnte atmen.
Ein paar Sekunden war ich ausschließlich damit beschäftigt, dann drehte ich mich um und betrachtete den Vorhang, durch den ich getreten war. Es war eine ganz normale Wand aus Beton und Beryllstahl und, soweit ich wußte, zwei Meter dick.
Vielleicht war das Geräusch, das ich gehört hatte, das Schwirren der Moleküle dieses festen Materials gewesen, die sich mit meinen einhundertachtzig Pfund unreinen Wassers vermischten.
Doch dies Phänomen mußte ich vorerst ungelöst lassen. Zunächst gab es wichtigere Dinge für mich zu tun: zum Beispiel den Stationschef zu finden und die Zerstörung von Station Neunundneunzig durch einen bewaffneten Überfall zu melden.
Nach zehn Minuten hatte ich jeden Raum auf dem Befehlsdeck durchsucht. Niemand war da. Dasselbe galt für R und den R-Komplex. Sowie für die Ausrüstungsabteilung und die Energiekammer.
Die Kerngrube verbrauchte normale Energie, die Transfer-Platten waren geladen, überall auf den Anzeigetafeln brannten die grünen Lichter. Doch von der Station wurde nicht ein einziges Mikro-Erg abgezogen.
Das war ein Ding der Unmöglichkeit.
Die Verbindungen einer Transferstation mit der Nexx-Zentrale, die wiederum gleichzeitig die Aktivität des außerhalb der Station arbeitenden Personals lenkten, zogen unweigerlich wenigstens eine geringe Menge Energie ab. Das mußte so sein, denn solange unser System existierte, war ein Nullverbrauch an keiner Stelle der normalen Raum-Zeit möglich.
Der logische Schluß, den ich daraus zog, gefiel mir nicht, aber er drängte sich mir auf.
Entweder existierte das Zeitsäuberungssystem nicht mehr – oder ich befand mich außerhalb seiner Einflußsphäre. Und da sich sein Einfluß über den gesamten raum-zeitlichen Kosmos erstreckte, blieben nicht viele Punkte übrig, an denen ich mich befinden konnte.
Die Stationen waren sich alle gleich: im Aussehen, in der Einrichtung, in den elektronischen Charakteristika. In Anbetracht der Massenproduktion dieser Stationen durch den Zeit-Stotter-Effekt, der sie hinauf und hinab entlang der Zeitlinie verteilte, gibt es sogar eine Theorie, die behauptet, daß sie identisch sind: alternierende temporale Aspekte ein und derselben physischen Matrix. Aber das war nur eine Theorie, und meine augenblickliche Lage war eine Tatsache. Zuallererst mußte ich feststellen, wo ich war.
Durch einen Korridor kam ich zur Eingangsschleuse – einige Stationen liegen in Gegenden, deren Umweltbedingungen dem, was die Nexx-Zentrale für normales Leben hält, abträglich sind –, öffnete sie und wäre beinahe hinausgetreten.
Beinahe!
Der Boden endete ungefähr drei Meter außerhalb der vorgezogenen Schleuse. Dahinter wogte ein perlgrauer Nebel gegen eine unsichtbare Barriere an, die verhinderte, daß er sich auflöste. Vorsichtig trat ich an den Rand, legte mich flach auf den Boden und spähte hinunter. Die Unterseite zog sich im Bogen nach hinten, bis sie in diesem Nebel verschwand. Soweit ich erkennen konnte, bestand sie aus glattem, blankem grünem Glas.
Genau wie der grüne Glaskrater, den ich am Dinosaurier-Strand gesehen hatte.
Rasch trat ich vom Ende der Welt zurück und ging wieder hinein – diesmal in die Registrier-Abteilung, wo ich aufs Geratewohl ein Band anforderte. Die Aufzeichnung erschien auf dem Bildschirm: Routinedaten über Energieverbrauch, temporale Konturfluktuationen, Ankunft von Agenten, Absprung von Agenten – die täglichen Logbuch-Eintragungen der Station mitsamt der stets wiederholten Stationsnummer.
Es war Station Neunundneunzig.
Genau das hatte ich befürchtet.
Die gerundete Unterseite dieser Insel im Nichts, auf der ich hockte, würde genau in das glasüberzogene Loch am Dinosaurier-Strand passen. Die Station war gar nicht durch Feindeshand zerstört worden; sie war in einem Stück
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