Zeit-Odyssee
ausführen solltest?«
»Ich sollte eine Schule einrichten.«
»Und was solltest du in dieser Schule lehren?«
»Freud, Darwin, Kant. Hygiene, Geburtenkontrolle, politische Philosophie, Biologie …«
»Plus freie Liebe und Atheismus, wenn nicht sogar Papisterei.« Ich nickte verständnisinnig. »Kein Wunder, daß sie dich teeren und federn wollten. Oder sollte es nur der Tauchstuhl sein?«
»Nur eine … öffentliche Auspeitschung. Ich dachte …«
»Natürlich. Der Karg hat dir eingeredet, daß du eine edle Tat vollbringst, wenn du die Heiden aufklärst, den Unterprivilegierten hilfst und den Unwissenden die Wahrheit verkündest.«
»Ist das so schlimm? Wenn diese Menschen dazu gebracht werden könnten, daß sie offen über die Dinge nachdenken, die doch ihr Leben regieren …«
»Der ganze Plan hätte nicht besser ausgedacht werden können, wenn er dazu bestimmt gewesen wäre, dich an den Galgen zu bringen …« Ich hörte Schritte – Schritte, die ich nicht zum erstenmal hörte.
»Vielleicht kann ich das Rätsel lösen, Mr. Ravel«, sagte eine vertraute, ölige Stimme von der Küchentür her. Dort stand der Karg, gekleidet in triste, heimgefertigte Wolle, und sah uns gelassen an. Er kam an den Tisch und setzte sich mir gegenüber – genau wie schon einmal zuvor.
»Sie haben wohl immer die Angewohnheit, hereinzuplatzen, ohne dazu aufgefordert zu sein, wie?« sagte ich.
»Gewiß, Mr. Ravel, warum auch nicht? Dies ist schließlich meine eigene Party.« Freundlich lächelte er Mellia zu. Sie erwiderte seinen Blick eiskalt.
»Sie sind derjenige, der mich hergeschickt hat?« fragte sie ihn.
»Agent Ravels Vermutung ist tatsächlich richtig. Ich mußte sie in eine Notlage bringen, aus der Mr. Ravel Sie retten würde.«
»Und warum?«
Er hob seine plumpen Hände und ließ sie wieder fallen. »Das ist eine sehr komplizierte Angelegenheit, Miß Gayl. Immerhin, Mr. Ravel wird sie wahrscheinlich verstehen; er glaubt ja Experte in derartigen Dingen zu sein.«
»Wir wurden manipuliert«, erklärte ich verärgert. »Es gibt nämlich bestimmte Kräfte, die man in Betracht ziehen muß, wenn man beginnt, den Zeitstamm zu reparieren. So muß zum Beispiel auf jede Aktion eine Kausalkette zuführen, sonst hat sie keine entropische Stabilität: Es hätte also nicht genügt, uns beide einfach hierher zu versetzen – natürlich mit Unterstützung unseres lieben Freundes und Nachbarn, des Kargs.«
»Aber warum ist er denn nicht gekommen, als wir zusammen am Dinosaurier-Strand waren, damals, als wir uns kennenlernten?«
»Sehr einfach«, antwortete ich. »Er wußte nicht, wo wir waren.«
»Ich habe gesucht«, sagte der Karg. »Mehr als zehn Jahre lang habe ich gesucht, aber Sie sind mir trotzdem entkommen – für einige Zeit. Doch Zeit, Mr. Ravel, ist ein Luxus, den ich im Überfluß besitze.«
»In der verlassenen Station sind Sie uns dicht auf den Fersen gewesen – dort, wo wir die alte Dame fanden«, sagte ich.
Der Karg nickte. »Stimmt. Ich hatte über ein halbes Jahrhundert gewartet – und Sie dann um Sekunden verpaßt. Aber das macht nichts. Jetzt sind wir alle zusammen hier – genau, wie es von mir geplant wurde.«
»Wie es von Ihnen geplant wurde …«, begann Mellia, sprach aber nicht weiter.
»Gewiß. Zufall spielt in meinen Aktivitäten nur eine sehr geringe Rolle, Miß Gayl. Oh, natürlich, zuweilen bin ich gezwungen, auf statistische Methoden zurückzugreifen und tausend Samen zu legen, damit ein einziger von ihnen keimt; letzten Endes jedoch ist das Resultat vorausberechenbar. Ich habe Mr. Ravel durch einen Trick veranlaßt, nach Ihnen zu suchen. Dann bin ich ihm gefolgt.«
»Und nun, da Sie uns hier haben – was wollen Sie nun von uns?« fragte ich ihn.
»Ich möchte, daß Sie etwas für mich tun, Mr. Ravel. Sie beide.«
»Sind wir also wieder bei dem Thema angekommen.«
»Ich brauche zwei Agenten – menschliche Agenten –, die im Zusammenhang mit der Kalibrierung einer bestimmten Apparatur eine sehr diffizile Aufgabe erfüllen. Nicht irgendwelche Menschen, sondern zwei Menschen, die durch eine für diese Aufgabe notwendige Affinität aneinander gebunden sind. Sie und Miß Gayl erfüllen diese Bedingungen ausgezeichnet.«
»Sie irren sich«, entgegnete Mellia scharf. »Agent Ravel und ich sind Berufskollegen – weiter nichts.«
»Ach, wirklich? Darf ich Sie darauf hinweisen, daß die Affinität, die ich soeben erwähnte, Mr. Ravel in die Falle gelockt hat, die ich ihm – und Ihnen
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