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Zeit und Welt genug

Titel: Zeit und Welt genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
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vorgenommen habe? Dass wir uns nie trennen sollten.« Sie lachte über ihre kindliche Naivität.
    »Ich bin froh, dass wenigstens eine von uns an ihr Versprechen denkt«, sagte Wass.
    »Ach ja, aber es war doch großartig, damals«, meinte Jasmine. »Fast ein Jahrhundert, glaube ich.«
    »Der größte Teil, Jazz, und der beste.«
    Sie sahen einander mit jener Zuneigung an, die man für einen früheren Teil des Lebens empfinden kann, wenn – im Rückblick – die Dinge viel einfacher und klarer aussehen.
    »Wir hatten vor hundert Jahren diese Stadt wirklich im Griff.« Jasmine hing ihren Erinnerungen nach. »Gleich nach dem Beginn der Eiszeit, weißt du noch? Niemand wusste, was oben und unten war, außer uns …«
    »Ich weiß es noch. Flüchtlinge kamen in Scharen. Auf der Flucht vor dem Eis im Norden und den Moskitos im Süden …«
    »Und alle wollten reich werden oder das Weite suchen. Was war das für eine Zeit! Drogenhandel, Ausgewanderte auf die Inseln hinüberschmuggeln, alles verkaufen, von Bärenfellen bis zu Insektenvertilgungsmitteln …«
    »Das war eine Zeit«, bestätigte Wass. »Wir haben viele Veränderungen erlebt, wir beide. Mir fällt der bakteriologische Krieg ein, gleich, nachdem ich Neurofrau wurde – ich wäre bestimmt gestorben, wenn du mich nicht dazu überredet hättest, mich rechtzeitig operieren zu lassen. Ich war vorher nie recht gesund, selbst für einen Menschen …«
    »Der Mikrobenkrieg, ja. Danach waren nicht mehr viele Menschen übrig. Sie mussten die Weltraumkolonien aufgeben, das weiß ich noch, weil –«
    »Die Raumkolonien, ja, die hatte ich schon ganz vergessen …«
    »Wie konntest du die vergessen? In der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts gab es doch ein Riesengetue, die vielen Orbitalstationen und Mondkolonien und Raumsonden – sie sollten uns retten, eine neue Zeit sollte anbrechen …«
    »Die brach auch an …«
    »Möchte wissen, was aus ihnen geworden ist.«
    »Die Kolonien starben am Hunger, die Umlaufbahnen verkürzten sich, die Stationen traten in die Atmosphäre ein und stürzten ab, die Sonden fliegen ewig weiter.« Wass lächelte schwach.
    »Dann der Begrenzte Atomkrieg …« Jasmine wurde bei den Erinnerungen an historische Katastrophen beinahe heiter.
    »Ach ja, 4. Juli 2117. Begrenzt auf wichtige Großstädte …«
    »Und dann die Klon-Kriege …«
    »Na, das waren Kriege. Der menschliche Einfallsreichtum auf dem Höhepunkt. Tausende von menschlichen Klonen, geschaffen, um die Rasse wieder aufzufrischen, die anderen Wesen, alle, die wir geschaffen hatten, betrachteten das als Beleidigung und vernichteten sie rundweg …«
    »Ah, die Zeit der Bestien …«
    »Lesen und Schreiben als Religion …«
    »Und die Eiszeit. Meine Lieblings-Naturkatastrophe.«
    Die Reminiszenz war ein wenig aus dem Gleichgewicht, leicht schrill, wie ein Gyroskop, das an Geschwindigkeit verliert.
    »Ja, die Eiszeit. Wir waren da wirklich auf dem Gipfel, wir beide. Die Herrscherinnen von Ma’ Gas’ waren wir …«
    »Wir müssen das alles aufschreiben, das darf nicht verloren gehen …«
    »Und dann hast du mich verlassen.« Wass’ Worte geboten Einhalt. Das Gyroskop stand still.
    »Hundert Jahre sind eine lange Zeit«, sagte Jasmine leise. »Es war Zeit, zu gehen.«
    »Ich weiß, für dich war es das Richtige. Ich weiß noch, der alte Dundee kam in die Stadt, um Vorräte zu holen, die Brüller waren da, die Vampir-Kolonien und die verlorenen Städte, er hatte so viel über das Terrarium zu erzählen, und du warst ganz gebannt.«
    »Ich blieb fünfzig Jahre unten. Das war eine großartige Zeit, aber ich habe dich immer vermisst, weißt du. Zehnmal am Tag hätte ich dich am liebsten angestoßen und gesagt: ›Schau dir das an! Schau dir das an!‹«
    Wass lächelte wieder, die Lider schwer von dem, was sie verloren hatten, was sie noch besaßen.
    »Du hast andere gefunden, wie ich hörte.«
    »Lon, ja, eine Zeit.« Jasmine nickte. »Der edelste Vampir, den ich kenne.« Sie dachte kurz an ihn. »Ich bin aber jetzt schon sechzig, siebzig Jahre allein.«
    »Wie ich, seit dem Tag, an dem du gegangen bist.«
    Jasmine berührte zart die Wange ihrer alten Freundin, fuhr mit dem Finger an der perfekten Wölbung herab, über die schönen Lippen.
    »Du hast das Lokal also in der ganzen Zeit nicht verlassen?« fragte sie zärtlich.
    »Nicht nötig«, erwiderte Wass achselzuckend. »Alle kommen zu mir. Sogar du bist wieder da.«
    »Vielleicht. Du scheinst jedenfalls den richtigen Platz

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