Zeit und Welt genug
innen und außen durch das Bauwerk. Beauty legte sich hin, um etwas zu schlafen. Jasmine nahm die Lotushaltung ein und verfiel in Trance. Josh starrte über sie hinweg durch die Glasdecke auf die Schatten von Leuten, die sich in den Räumen darüber bewegten. Eine Wasseruhr am Ende des Saales ließ die Minuten verrinnen. Es wurde Mittag.
Mit etwas Ungestüm trat ein kleiner Höfling aus der Tür auf der anderen Seite, stand stramm und verkündete laut: »Hört! Hört! Alle frohlocken über das Angesicht des Dogen!« Daraufhin verbeugte er sich und ging hinaus.
Unmittelbar danach erschien eine andere Gestalt und kam auf die Gefangenen zu. Es war ein breitgebauter Mann, der ein Gewand in Rot und Gold und eine mit Edelsteinen geschmückte Mütze trug und einen gehetzten Ausdruck zeigte.
»Ich bin der Doge«, sagte er. »Ihr kommt zu einer äußerst ungünstigen Zeit. Heute ist ein Feiertag, leider – die Vermählung von Venice mit dem Meer. Ich leite das natürlich, kann also nicht viel Zeit dafür aufwenden, euch zu bekehren.« Er verstummte, sah sie streng an und fügte hinzu: »Seid ihr Heiden oder Gottlose?«
Jasmine, die hinter Wass stand, murmelte ihrer Freundin ins Ohr: »Bewahre mich vor wichtigtuerischen Mönchen.«
Der Doge hob scharf den Kopf.
»Deine Bemerkung ist geschmacklos – aber mich kann man nicht verhöhnen: Ich bin ein Glaubender. Gleichgültig. Eure Bekehrung wird kurz und ekstatisch sein oder kurz und qualvoll. Auf jeden Fall werdet ihr alle bekehrt werden. Kommt mit.« Er drehte sich auf dem Absatz um und ging zur Tür gegenüber; die anderen folgten nach kurzem Zögern.
Sie stiegen hinter ihm auf einer schier endlosen Quarz-Wendeltreppe nach oben. Schließlich betraten sie durch eine Kristalltür einen Raum ohne Decke. Der Boden war aus reinstem Glas. Ringsum verteilt standen Folterinstrumente.
»Das ist der Bekehrungssaal«, sagte der Doge ohne Bösartigkeit. »Oben und unten offen, damit die Sonne und Neptun selbst bei der Bekehrung mitwirken können.«
Jasmine war im Begriff, den Dogen zu packen – ihn als Geisel zu nehmen und die Flucht zu ergreifen –, als plötzlich mehrere bewaffnete Wachen hereinkamen. Sie hielten ihre Waffen auf die Gefangenen gerichtet. Ihr Anführer schritt auf den Dogen zu und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
»Ah, verstehe«, sagte der Doge. Seine Miene wurde noch strenger. »In Ma’ Gas’ habt ihr eine unserer Priesterinnen überfallen, und man teilt mir eben mit, dass sie vor wenigen Minuten gestorben ist.« Bevor jemand auf die Beschuldigung antworten konnte, fuhr er fort: »Hier sind alle Seeleute. Sie ist jetzt tot – unsere Schülerin, die Priesterin der Kapuzen. Sie ist jetzt mit dem Wasser vereint.«
Joshuas Blick irrte durch den Raum und suchte nach einem Fluchtweg. Beauty scharrte mit den Hufen. Jasmine fragte sich, ob sie den lästigen Priester nicht erdrosseln sollte, um die Welt von ihm zu befreien, bevor man sie zu Tode folterte. Wass hoffte, dass man ihr die Gelegenheit zu schwachem Widerstand geben würde, damit sie dann mit Eifer konvertieren konnte. Isis kratzte sich einen Floh aus dem Ohr.
Der Doge senkte kurz den Kopf.
»Ihr dürft die Feier aber nicht länger hinauszögern. Ihr werdet die Nacht in den Grabkammern nah am Wasser verbringen. Bei Tagesanbruch werdet ihr ertrinken und zu euren Vorfahren in der See zurückkehren. Die Priesterin der Kapuzen auf der anderen Seite wird euch bekehren.« Damit drehte er sich um und huschte hinaus.
Die Wachen packten die Gefangenen sofort und führten sie hinaus, viele Treppen hinunter, über Steinstufen hinab unter das Schloss, in das Innere der Insel hinein. Sie mussten knöcheltief durch eine Reihe düsterer Grotten waten und erreichten endlich eine große, feuchte Höhle. Ein sechzig Zentimeter großes Loch in der hohen Decke ließ Licht von außen hereindringen. Hier wurden die Gefangenen mit Handfesseln an Stahlringen in der Höhlenwand angekettet; hier saßen sie und dachten über die Ereignisse nach, die sie zu diesem abrupten und unbefriedigenden Schluss geführt hatten.
»Ich kann nicht glauben, dass sie die ganze Zeit an dem Seil im Wasser hing, deine Klinge in der Brust. Das ist unfassbar.« Josh schüttelte den Kopf.
»Das Wasser nährt diese Leute«, erwiderte Jasmine. »Es ging ihr dort besser als am Ufer.«
Wass nickte.
»Sie sind besessen, diese Wasser-Leute. Der Schrei, den wir in der zweiten Nacht auf dem Wasser gehört haben – das war die Maskierte, die ihre
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