Zeit und Welt genug
einer jungen Birke und schnitt Pfeile zurecht. Jasmine saß mit geschlossenen Augen in der Lotushaltung und schlief offenbar.
Joshua fühlte sich unbehaglich. Das lag nicht nur an der inneren Anspannung, an dem Wissen, dass Dicey und Rose so nah und doch so fern waren. Er fühlte sich auch körperlich nicht wohl. Er drehte sich immer wieder herum. Er setzte sich auf. Er konnte nicht die richtige Haltung finden. Er zog Federkiel und Papier heraus und versuchte zu schreiben, fand aber die Worte nicht. Sein Rücken pochte qualvoll.
Er stand auf und spürte, wie er an der Stirn in Schweiß ausbrach. Er entfernte sich einige Schritte von der Felswand und öffnete die Hose, um sein Wasser zu lassen.
Es war kein Wasser, was herauskam, sondern Blut.
Der kalte Schweiß brach an seinem ganzen Körper aus, wie eine winterliche Flut. Dann wurde er ohnmächtig.
Als er zu sich kam, lag er auf dem Rücken, auf festem Boden, Jasmines Gesicht auf der rechten Seite über sich, das von Beauty auf der linken. »Was ist passiert?« fragte er.
»Du verlierst Blut«, sagte Jasmine warnend. »Bleib ruhig liegen.«
»Aber was –«
»Bei dem Kampf heute ist deine Niere verletzt worden – vielleicht ein Riss«, sagte Jasmine langsam. »Wenn du ganz ruhig liegen bleibst, heilt es vielleicht. Es müssen aber zwei oder drei Tage sein.«
»Drei Tage!« stieß Josh hervor. Beauty schwieg und sah ihn streng an. »Lächerlich«, sagte Josh und begann zu lachen, aber der Schmerz im Rücken durchbohrte ihn rücksichtslos.
»Ich bin einmal Ärztin gewesen«, fuhr Jasmine fort. »Hör gut zu.« Sie beugte ihr Gesicht hinunter und zwang Josh, sie anzusehen. »Es ist kein großer Riss, sonst wärst du schon verblutet. Aber wenn es nicht heilt, verlierst du weiter Blut und stirbst. So einfach ist das.«
Josh sah Beauty hilfesuchend an, aber der Zentaur machte sich offenkundig schwere Sorgen. Josh richtete den Blick wieder auf Jasmine.
»Aber die Vampire …«, sagte er und zuckte zusammen unter dem Schmerz, den die heftig gesprochenen Worte erzeugten.
Beauty nickte langsam.
»Vielleicht wäre es wirklich am besten, zu warten, bis sie das Lager abbrechen«, sagte er bedächtig; jedes Wort war ein Pfeil, der Josh am Boden festnagelte. »Wir können uns das Gelände nach unserem Vorteil aussuchen. Vielleicht hatte die Neurofrau … doch recht.« Das letzte Wort bereitete ihm Schwierigkeiten, aber die Sorge um Joshs Gesundheit ging vor.
Josh, den die Last niederdrückte, konnte sich nicht bewegen.
Sie trugen ihn vorsichtig hinunter zu einer großen Höhle, die Jasmine in der Felswand entdeckt hatte. Die Höhle war nur über einen steilen, sehr schmalen Pfad zugänglich und durch einen stechginsterbewachsenen Überhang vor Einsicht geschützt. Zusätzlich zur natürlichen Tarnung deckten sie den Höhleneingang noch mit Palmzweigen und Farn ab. Danach konnte man sie von außen nicht mehr sehen, aber sie konnten auch nicht hinausblicken.
Jasmine unterhielt sie mit Geschichten von früheren Abenteuern, zum Teil, um Beautys offenkundige Ungeduld wegen der Verzögerung zu beschwichtigen, zum Teil auch, um Josh Schlaf zu ermöglichen, ihn von seiner Verletzung abzulenken.
»Wir gingen oft auf Drachenjagd«, sagte sie. »Die großen, alten Furzsäcke. Früher gab es Geld für ihre Häute, aus der man Modekleidung machte. Aber Sport war das auch. Es ging darum, wie nah man herankam; als die größte Leistung galt, sie zu berühren, bevor wir sie töteten. Früher fanden sogar Drachenkämpfe in Arenen statt – wie Stierkämpfe, nur man selbst und der Drache, manchmal Pikadoren dazu. Ein grandioses Schauspiel, glaubt mir. Der Matador in einem Astbestanzug, der Drache, überfüttert, damit er besonders viel Gas entwickelte, und dann ohne Nahrung gelassen, damit er böse wurde. Auch so war es natürlich kein großer Kampf – sie sind einfach dumme Tiere. Aber wie der Matador um die Bestie herumtanzte! Ritual und Romantik. Die Drachen wurden dadurch fast ausgerottet, leider – deshalb sieht man sie kaum noch. Für mich ist das aber kein großer Verlust – sie sind stets in der Legende großartiger gewesen als in Wirklichkeit. Manche Dinge sind einfach so – großartige Phantasievorstellungen, die sich schlecht in die Wirklichkeit übertragen lassen. Sollte mich nicht wundern, wenn es mit den meisten Phantasien so geht.« Sie verstummte und sah zu Josh hinüber; seine Augen waren geschlossen. Jasmine lächelte und kehrte auf den Felssims über der
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