Zeit und Welt genug
–«
»Mensch!« schrie Josh. »Da weht also der Wind von deiner edlen Rasse her. Du demütigst dich mit deinem infantilen Rassismus selbst. Du kannst nicht einmal –«
»Ich kann nicht einmal –«
»Aufhören!« rief Jasmine. Der Streit war sofort zu Ende. Dumpfes, schamvolles Schweigen folgte. Jasmine ließ die leere Stille noch ein wenig länger wirken, bis die beiden sich gefasst hatten, dann sagte sie kaum vernehmlich: »Ich glaube, ihr habt eben erlebt, worum es beim Krieg der Rassen ging. Worum es wirklich ging.« Sie sah sie forschend an, aber sie verbargen sich hinter Spiegelaugen. Sie legte eine Hand auf Joshuas Kopf, die andere auf Beautys Rücken. »Starke Empfindungen trennen uns, aber sie binden uns auch. Bitte, ihr zwei. Wir sind eine Familie.«
Beauty wandte sich ab und starrte an die Wand, Josh sank zurück und blickte an die Decke. Jasmine seufzte. »Ich wollte uns mit meiner Geschichte nicht auseinander bringen«, sagte sie. »Wir haben einen gemeinsamen Vorfahren, einen menschlichen. Wir entwickeln uns nur verschieden. Meine Entwicklung führt in eine Sackgasse, sonst nirgends hin. Ich dachte, ihr beide seid stark genug dafür. Ich dachte … ach, was spielt das für eine Rolle? Schlaft erst einmal, ihr habt es nötig. Ich übernehme die erste Wache. Meine Augen sind nachts ohnehin besser.« Sie wandte sich ab.
Jasmine wusste, dass Beauty ihr glaubte – es gab keine andere Erklärung dafür, dass er sich so aufregte und derart aus dem Gleichgewicht gebracht worden war. Aber sie bedauerte nichts. Solche Schläge allein konnten Charakter und Mut richtig auf die Probe stellen – und sie wollte die Gewissheit haben, mit standhaften Seelen zusammenzusein, bevor sie sich weiter mit ihnen in das Dunkel dessen hineinbegab, was bevorstehen mochte.
Sie hörte Josh und Beauty in einem Winkel der Höhle jetzt leise miteinander sprechen – die Worte verrieten Bedauern und Reue, vermischt mit Stolz.
»Verzeih mir«, hörte sie den Zentauren murmeln, »ich wollte nicht –«
»Nein, nein, mich hat das auch aus dem Gleichgewicht gebracht«, flüsterte Josh. »Sie war –«
»– es muss doch –«
»– wenn wir bis morgen –«
»Ich muss über die Bedeutung nachdenken, die –«
Die Energie der beiden – ihre Entschlossenheit, ihr wirrer Idealismus –, Jasmine war froh, mitgegangen zu sein. Sie gaben ihr etwas, das ihr seit vielen Jahren gefehlt hatte – einen Grund, zu leben. Leise schlich sie davon.
Sie begab sich zum Höhleneingang, kauerte nieder und starrte durch die Laubabdeckung in die Nacht hinaus. Der Nebel wogte über den niedrigen Hügeln gleich verirrten Gedanken heran; zuerst in Strähnen, die sich rasch auflösten. Bis er so dicht war, dass er die Steinsenken ausfüllte und über das Heidegestrüpp kroch, verschwand der Mond unter dem Horizont, und die Dunkelheit war undurchdringlich. Kälte breitete sich in der Luft aus und hätte menschliche Haut erfasst, aber Neuromenschen waren gegen solche Wetterunbilden immun. Jasmine registrierte den Temperatursturz, fühlte sich aber nicht unbehaglich. Es dauerte eine Stunde, bevor sie auf den Gedanken kam, zu ihren Freunden hinüberzublicken. Sie lagen friedlich in einer Ecke, nah beieinander, um sich zu wärmen, und schliefen.
Eine Stunde vor dem ersten Licht, im Gewisper der Trugdämmerung, krachte am Höhleneingang Geröll herunter. Die drei sprangen hoch. Josh zog das Messer, Beauty packte den Bogen, Jasmine den Degen, und sie standen abwehrbereit dem Eingang gegenüber. Sie warteten.
Dreißig Sekunden. Beauty fühlte sich in der Falle, aber doch zufrieden, weil es endlich ans Kämpfen ging. Josh hoffte nur, dass er nicht sterben würde, bevor er seine Liebste gerächt hatte. Jasmine regelte ihre Reflexe und studierte ihre Angst.
Eine Minute. Draußen scharrte es. Ein paar Zweige fielen. Beauty spannte den Bogen. Ein langer Augenblick, dann ein Krachen, und herein stürzte ein kleiner Waschbär. Mit den schwarzen Ringen um seine Augen sah er aus wie eine Geisterkarikatur. Er blieb stehen, sah sich die drei Jäger an, drehte sich um und marschierte gelassen wieder hinaus.
Die Spannung löste sich ein wenig, aber niemand atmete auf. Jasmine trat vor und spähte durch die Äste.
»Sonst niemand da«, murmelte sie. Die anderen blieben stumm. Jasmine legte den Finger an die Lippen und schlüpfte hinaus in den neblig-trüben Morgen.
Kapitel 8
Worin die kleine Schar gefangen wird
F ünf Minuten lang kein Laut,
Weitere Kostenlose Bücher