Zeit und Welt genug
musste. So dicht, dass der Himmel unsichtbar blieb. So dicht, dass außer einer vereinzelten Zwiebel, stummem Moos und bebendem Farn nichts wuchs.
Josh ließ sich bald von Beautys Rücken heruntergleiten. Sein verletzter Rücken schmerzte immer noch, aber die sengende, stechende Qual war verschwunden. Bei ihm heilte alles rasch. Diese Eigenschaft hatte ihn bisher schon mehrmals gerettet.
Das Licht im Wald war unheimlich und düster. Dunkle violette Strahlen drangen durch das dichte Laubdach in die kühle erdfarbene Luft: Traumlicht. Josh zog das Messer und schnitt eine kurze Mitteilung in einen dicken Weidenstamm, vermerkte Datum, Person und Anlass.
Beauty schüttelte den Kopf.
»Gekritzel«, murmelte er und verzichtete sogar auf die spöttische Handbewegung, mit der er Joshua sonst zu ärgern pflegte. »Du kannst ihnen vielleicht noch mit einer Zeichnung verdeutlichen,; welchen Weg wir nehmen wollen«, fügte er bissig hinzu.
»Niemand ist uns auf den Fersen«, gab Josh zurück. Er wollte; noch mehr sagen, musste aber gähnen.
»Es könnte ohnehin nichts schaden, wenn wir hier ein paar Minuten rasten würden«, meinte Jasmine. »Wir haben den ganzen Tag nicht haltgemacht.«
»Schön«, stichelte Beauty. »Dann kann er vielleicht ein Buch schreiben.«
Josh hinterließ sein Zeichen und wandte sich Jasmine zu.
»Hat es wirklich eine Zeit gegeben, in der alle lesen und schreiben konnten?« fragte er staunend.
»Alle Menschen.« Sie nickte. »Aber viele Jahre, bevor das Eis kam, wurden die Leute wegen des Unheils, das die Intellektuellen angerichtet hatten, so böse, dass es zu einem gewaltigen Gegenschlag kam. Man verbrannte Bücher und bombardierte Bibliotheken. Es kam so weit, dass man keinem mehr traute, der lesen konnte.
Bis das Eis kam, war alles schon so zerfallen und chaotisch – nun, das war einfach der letzte Tropfen. Die Leute schoben sogar das Eis auf die Bücher.«
»Man hat Büchern immer die Schuld an dem zugeschoben, was auf der Welt nicht richtig war«, sagte Josh. »Die Macht des Wortes war stets gefürchtet.«
Jasmine schüttelte den Kopf.
»Die Wörter sind nicht mächtiger oder ohnmächtiger als jener, der sie schreibt, Joshua.«
»Aber je näher wird dem Ersten Wort kommen …«
»Ein solches Wort wird nie gefunden werden«, erklärte sie.
»Aber man wird es logisch ableiten«, versicherte er. »Man wird es folgern aus allen Wörtern, die –«
»Nein, Joshua, Wörter besitzen nichts von der magischen Kraft, die eure Priester ihnen zuschreiben. Niemand könnte Wörter schreiben, die das Eis kommen oder verschwinden lassen oder bei denen die Unglücksfälle verschwinden …«
»Aber es waren Wörter in geheimen Codes, durch die Unglücksfälle überhaupt erst entstanden sind, wie du selbst gesagt hast.«
»Nicht die Wörter, hur die Kraft, die sie beschrieben. Und gegen diese Kräfte haben alle anderen Wesen sich aufgelehnt – obwohl sie die Kräfte nicht richtig verstanden, so dass sie – wie du – meinten, es wären die Wörter selbst. Danach wurde das Lesen geächtet. Und im Anschluss daran entstand die Schreibkunst.«
»Wann war das?« fragte Josh zögernd. Er wusste selbst nicht recht, ob er eine Antwort hören wollte.
»Ach, vielleicht fünfzig Jahre Vor dem Eis. Nach den Klon-Kriegen. Ich erzähle dir davon ein andermal. Aber in den Klon-Kriegen wurden alle Menschen, die es noch auf der Erde gab – mit Ausnahme der Kinder – getötet. Alle erwachsenen Menschen. Die Kinder verschonte man, weil die Tiere – nun, Tiere fürchten Kinder wohl nicht. Lesen und; Schreiben wurde verboten – als Menschenart. Aber das dauerte nicht lange. Die Kinder wurden groß und fanden natürlich Bücher, die ihre Eltern versteckt hatten. Manche konnten lesen, und du weißt, was ein Kind tut, wenn etwas nicht erlaubt ist. So entstand eine geheime Gesellschaft von jungen Menschen, die lesen konnten. Sie unterrichteten andere, und der Kult wuchs.«
Irgendwo peitschten Blitze durch den Himmel, undeutlich, wie durch geschlossene Augen gesehen. Aber kurz danach krachte Donner, dass der Boden erzitterte. Dann konnte man das hypnotisierende Rauschen des Regens auf dem Laubdach hören.
»Manche Menschen glaubten natürlich, was ihre Tierfreunde ihnen sagten – dass die Schreibkunst etwas Böses sei. Für andere dagegen hatte das Wort große Bedeutung. Sie wussten nicht viel von Geschichte – nur wahllose Bruchstücke aus Resten alter Bücher –, aber was sie nicht wussten, das dachten sie
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