Zeit und Welt genug
Gefangenen wurden von einem halben Dutzend tapferer Soldaten vom Schlachtfeld geführt. Ihre Brüder lagen tot, aber sie würden in den Himmel gesungen werden.
Die Gruppe zog langsam durch den dichten Weidenwald in dunkles, verschlungenes Unterholz und zuckende Schatten. Endlich traten sie hinaus auf eine weite Lichtung, wo die Weiden sich majestätisch in fünfzehn Meter Höhe wölbten und das Walddach wie ein grüner Dom aussah.
Hier loderten Feuer, warfen Licht und brieten Wildgeflügel. Dutzende von Wesen saßen beim Glücksspiel, schossen mit dem Langbogen, rangen, tranken Bier. Alle möglichen Tiere waren zu sehen. Der Zug von Bewachern und Gefangenen betrat das riesige Waldgewölbe und blieb stehen. Die Bärensoldaten mischten sich unter ihresgleichen, um von Kampf und Leid zu berichten. Musik überspann das Laub.
D’Ursu Magna führte Beauty, Jasmine und Joshua durch die Lichtung zum anderen Ende. Sie kamen vorbei an Jongleuren, Tänzern, Schwertkämpfern und dergleichen, bis sie endlich im Licht von drei Lagerfeuern standen. Und dort vor ihnen saß auf einem lebenden Thron aus der massivsten, ältesten Trauerweide des Waldes die zwei Tonnen schwere, juwelenumhüllte, schwarzbepelzte Gestalt Jarls, des Bären-Königs.
Kapitel 9
Der Prozess
I m Sitzen maß Jarl von Kopf bis Fuß über drei Meter, vollaufgerichtet fast sechs. Um seinen Hals hingen ungeschliffene Edelsteine – Rubine, Smaragde –, glitzernd wie die Erde, aus der sie kamen, kostbare Früchte des Gesteins.
Er besaß eine gewisse natürliche Majestät. Seine Schnauze war Ebenholz, sein Gebiss Perlen. Seine Augen strahlten eigenes Licht. Und im braun-schwarzen Pelz seines Fußknöchels verbarg sich eine dicke goldene Kette, eine Erinnerung aus seiner Zeit als Gefangener der Menschen, als Bär in einem Wanderzirkus – er trug sie immer, um nicht zu vergessen.
Er saß ausdruckslos auf seinem Weidenthron, als D’Ursu Magna die Gefangenen vorführte. Nur seine Augen bewegten sich.
»Eure Weisheit«, sagte D’Ursu Magna, »wir haben die Gefangenen – Beauté Centauri und zwei Begleiter. Sie kämpften, hörten aber auf, als sie sahen, wer wir sind. Gefangene, entblößt euren Nacken vor Jarl, König, Bruder und Richter.«
Den Nacken zu entblößen, war die rituelle Art der Tiere, Unterwerfung zu zeigen oder zu huldigen. Die Reisegefährten taten es jetzt, aus ratsamer List, Ehrerbietung und Angst zu gleichen Teilen.
Jarl beugte sich ein wenig vor. Seine Augen hatten die Farbe von Saphiren.
»Zentaur, dich kenne ich«, sagte er.
Beauty hob stolz den Kopf.
»Ich habe mit Euch im Krieg gekämpft, Euer Ehren.«
»Und gut gekämpft, Eure Weisheit«, fügte D’Ursu Magna hinzu.
Jarls Augen blitzten heller als die Flamme, als er zuerst D’Ursu, dann Beauty ansah.
»Du hast also einen Verteidiger in unseren Reihen, Zentaur. Woher kennt ihr euch?«
»D’Ursu Magna war bei einem halben Hundert Feldzügen mein Unterführer«, sagte Beauty und starrte seinen alten Freund scharf an.
»Ist das wahr, D’Ursu?« Jarl richtete den Blick auf den Bären-Häuptling. »Du bist in meiner Armee während des Krieges sein Unterführer gewesen?«
»In vierundvierzig Schlachten war ich sein Unterführer«, erwiderte D’Ursu und sah Jarl ins Gesicht. Dann blickte er in die Bäume und fuhr fort: »Einmal war er meiner.«
Joshua empfand ganz unerwartete Eifersucht; aus welchem Grund, konnte er nicht sagen, unterdrückte sie aber, weil es Dringlicheres gab.
»Sooo«, knurrte Jarl, die Nase in der Luft. »Wie kommen diese stolzen Veteranen hierher? Was wird ihnen vorgeworfen?«
D’Ursu räusperte sich und scharrte mit den Füßen.
»Beschuldigt, einen Unglücksfall getötet zu haben, Eure Weisheit. Ohne Recht.« Er sprach leise.
Jarls Augen wurden streng in ihrer Glut.
»Das ist ein ernster Vorwurf, Brüder. Ein Tier zu töten, außer in Notwehr oder zur Nahrung, ist das schwerste Verbrechen, eine Tat ohne Recht. Und selbst ein Unglücksfall ist ein Tier. Nicht mehr, nicht weniger als Bär, Zentaur oder Mensch.«
Im Hintergrund war der Lärm von mehr als zweihundert Tieren zu hören: Ringen, Geschichten erzählen, Lachen, Knurren, Spielen, Schnurren und Putzen. Jarl lauschte kurz mit geschlossenen Augen, dann fragte er: »Wie verteidigt ihr euch?«
Josh ergriff das Wort.
»Wir haben ihn nicht umgebracht – ich behaupte nicht, dass wir es nicht getan hätten, wenn wir ihn lebendig aufgefunden hätten. Aber das waren seine
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