Zeit und Welt genug
gewöhnlich.«
Seine Kritik schmeichelte ihr auf linkische Weise, und sie nahm sich vor, ihren eklektischen, von vielen Kulturen bestimmten Wortschatz im Zaum zu halten. Sie lächelte vor sich hin, während D’Ursu sie herumführte.
In der Nähe des großen Mittelfeuers schien das ärgste Gedränge zu herrschen. Jasmine, Beauty, Josh und D’Ursu schoben sich zwischen den Zuschauern hindurch, bis sie vor einem großen, von Fackeln erhellten Platz standen. Eine Vorführung fand statt.
Tiere aller Arten besetzten die Bühne. In der Mitte stand eine Giraffe – majestätisch, still, den Hals völlig umkränzt mit Weidenzweigen, den Körper mit Rinde behängt. Neben ihr heulten zwei Tiger leise zum Himmel hinauf. Sieben Riesenfrösche hockten aufeinander wie ein atmender Totempfahl. Der oberste Frosch hielt im zahnlosen Maul einen Zweig. Drei Schlangen hatten sich um den erhobenen Arm eines Bären geflochten. Flugaffen, Spinnweben hinter sich herziehend, die im Feuerschein glitzerten, kreisten gemächlich über den versammelten Spielern. Im Vordergrund schien die Aufmerksamkeit aller drei Tieren zu gelten, die lebhaft miteinander sprachen – ein eineinhalb Meter langes Chamäleon, eine große alte Schildkröte und ein Einhorn.
»Was ist das, was geht hier vor?« flüsterte Josh Beauty zu.
»Schoschoru«, sagte Beauty feierlich, den Blick auf die Bühnenmitte gerichtet.
D’Ursu Magna schob sich an Josh heran und sagte leise: »Die große Tieroper. Sie erzählt die Geschichte unserer größten Legende – die Legende von Schoschoru, dem ältesten Baum des Waldes.«
Jasmine nickte.
»Ich habe natürlich davon gehört, das Stück aber nie gesehen.«
»Außenseiter sehen es selten«, bestätigte D’Ursu. »Ihr habt großes Glück.«
Beauty war gebannt von der Vorführung. Er hatte seit vielen Jahren keine Aufführung mehr gesehen. Sie erweckte viele Erinnerungen in ihm.
»Worum geht es da?« flüsterte Josh.
Auf der Lichtung saß das Einhorn mit der Schildkröte dem Chamäleon gegenüber, das zu den Lauten der heulenden Tiger einen langsamen gewundenen Tanz vollführte.
»Es ist die Geschichte von Schoschoru, dem alten Baum«, sagte D’Ursu halblaut. »Seinen Namen hat er von den Lauten, die der Wind in seinen Haaren singt. Er ruft alle Tiere der Welt zu sich, und wenn sie alle versammelt sind, stirbt die ganze Welt, wird sie ausgelöscht bis auf den Wald.
Jetzt sind wir im letzten Akt. Alle Tiere bis auf drei haben sich in Bäume verwandelt. Sie nehmen das letzte Mal Abschied, bevor sie sich der Passion des Einsseins überlassen. Tiere aus dem Publikum haben die ganze Zeit über auf der Bühne mitgewirkt, wie es ihnen in den Sinn kommt, um Teil des Waldes zu werden. Das Chamäleon dort hat eben seinen Glauben bekräftigt, das Leben sei Veränderung und die Veränderung zum Tod ein Teil davon; der wartende Wald wird sich für ihn endlos verändern und ewig derselbe sein. Da, jetzt verwandelt er sich.«
Die große Echse sprang hoch auf den Rücken der Giraffe und blieb dort reglos sitzen, in der Farbe von Weidenrinde. Mehrere Tiere aus dem Publikum gesellten sich zu den ’wachsenden Reihen der Darsteller in der Lichtung. Manche hielten Zweige, andere trugen Laubgewänder, wieder andere standen einfach unverrückbar wie Eichen. Die Schildkröte ging dreimal um das Einhorn herum, gab eine Folge tiefer Laute von sich, blieb stehen und zog sich ganz in ihren Panzer zurück.
Josh und Jasmine sahen fasziniert zu. Beauty schämte sich seiner Tränen nicht. Er dachte an die letzte Aufführung der Oper, die er gesehen hatte – nach der Schlacht von Barba-Dun, der blutigsten des Rassen-Krieges, des Blutbades, das jedermanns Kriegslust hatte erlahmen lassen. Alle seine gefallenen Kameraden waren in der Erde am Fuß der Bäume dieses „Waldes begraben worden; ihre Seelen waren in die Bäume gedrungen, sie waren Teil der Legende geworden; und die überlebenden Tiere hatten zu ihren Ehren die Oper aufgeführt. Beauty hatte die Rolle des Einhorns gespielt, das sich als letztes Tier verwandelte.
Das Einhorn auf der Bühne ging langsam zwischen den baumerstarrten Tieren herum und sang in einer silbrigen Sprache, die Josh nur schwer verstehen konnte:
›Schildkröte sagt, das Leben sei zu kurz
zu lernen, was man muss;
rasch wie Licht in Wassernacht
oder Rauschen nur im Farn.
Allein der Tod ist lang genug,
dass er lehrt des Himmels Plan
die Farben Schoschorus
den sanften Duft der Zeit.
Aber kein
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