Zeit und Welt genug
Schoschoru
kein Schoschoru
kein Schoschoru
Ohhhhh
Zuviel man lernt in diesem dunklen Leben
das Wissen hält uns fest;
und nur im Tod, Schoschoru,
ist Unschuld unser Rest.
Unschuld unser Rest, Schoschoru,
Unschuld unser Rest,
ich komme wie der Wind, Schoschoru,
der meine Mähne zaust.
Mein Nam’ ist Schoschoru, Schoscho,
Schoschoru ist mein Nam
Schoschoruuuuuu
Schoschoruuuuuu‹
Bei diesen letzten Zeilen fiel der ganze Chor ein – Katzen und Vögel und Gazellen und alle – und sangen immer wieder ›Scho-schoruuuu, Schoschoruuuuu‹, bis es sogar Josh so vorkam, als bliese der klagende Wind in die Höhlen und Wälder seiner tiefsten Seele.
Die Oper war vorbei, die Tiere liefen auseinander. D’Ursu legte die große Tatze auf Beautys Rücken und sagte zu Jasmine: »Jetzt weint er wie ein Mensch. Das war nicht immer so.«
»Sei still, hässlicher Bär«, sagte Beauty liebevoll und gewann seine Fassung wieder. »Die Freunde wollen von deinem Geschwätz nichts hören.«
»Mag sein«, sagte D’Ursu. »Ich möchte euch trotzdem erklären, dass Beauté Centauri mein Leben öfter gerettet hat, als dieser arme Bär zählen kann. Und das letzte Mal geschah es infolge dieses Stücks – er kleidete sich ganz in die Zweige des Strauches und schlich so durch die Nacht, ohne für den Esel gehalten zu werden, der er ist, damit er mich aus dem feindlichen Lager befreien und wie Schoschoru in der Nacht des Waldes verwehen konnte.« Er lachte dröhnend und brachte Beauty in ärgste Verlegenheit.
Josh nickte, erneut beeindruckt von seinem alten Freund.
»Ich habe einmal von einer solchen List gelesen – ein gewisser Macbeth …«
D’Ursu Magna gab Beauty einen Klaps auf das Gesäß.
»Jetzt wirst du mir dann noch erzählen, dass du lesen kannst.« Sein Lachen klang noch lauter.
Beauty lächelte nachsichtig.
»Dummer Bär«, murmelte er.
Joshuas Ohr wurde plötzlich auf eine dunklere Ecke der Waldlichtung aufmerksam, wo eine heiter trauernde Runde von Tieren ihre toten Kameraden in den Himmel sang. Ein tiefes brummendes Summen bildete die Unterlage für Pizzicato-Schreie und -Klagelaute, während immer wieder auf- und abschwellend der schlichte Refrain gesungen wurde:
»Tier im Wandel, Tier im Flug
Tier im Wald, im Himmel genug.«
Die vier Freunde sahen kurz zu, dann gingen sie stumm weiter, jeder in den eigenen Gefühlen watend.
Jasmine fühlte sich geehrt, die Aufführung gesehen zu haben. Sie hoffte, lange am Leben zu bleiben, um diese Erinnerung zu bewahren. Es war, wie D’Ursu schon gesagt hatte, kein Stück für Außenstehende. Jasmine hätte zwar über die Bedeutung dieser Worte lieber nicht nachgedacht, kam aber nicht daran vorbei, und je mehr sie sich damit befasste, um so unbehaglicher fühlte sie sich.
Josh war ein wenig überwältigt – von Jarl, von der Oper, vom Lager selbst, durch das sie nun schlenderten. Wölfe wälzten sich spielerisch mit Rouls; Elfen, Satyre, Zentauren und Nymphen unterhielten sich, aßen oder grübelten. Der Feuerschein waberte auf schlafende Junge. Joshua hatte noch nie so viele verschiedene Tiere so friedlich zusammenleben gesehen. Seltsamerweise rief das tiefen Schmerz in ihm hervor. D’Ursu Magna bemerkte es aber deutlich.
»Joshua Jäger«, sagte D’Ursu. »Hauptmann meines Hauptmanns«, fuhr er fort, um Beauty in seine Bitte einzuschließen. »Eure Familien sind dahin. Gebt sie auf. Schließt euch der unsrigen an. Eure Lieben sind von Erde oder Himmel aufgenommen worden. Lasst sie fahren, und mit ihnen eure Menschenmoral. Lebt mit uns das Tierleben, an dieser Stelle, in diesem Augenblick.«
Josh und Beauty tauschten einen langen, forschenden Blick. Der Friede dieses Lagers schien von den Gefahren und Anforderungen der Jagd weit entfernt zu sein. Es war schließlich Jasmine, die sagte: »Ich kann nicht umhin, Jarls Rassismus als beunruhigend zu empfinden.«
D’Ursu war aufgebracht.
»Rassismus! Tiere aller Rassen leben in Jarls Reich. Wir wetzen uns am Baum wie das Laub an der Weide, und Jarl ist unser Stamm.«
»Aber Menschen –«, begann Jasmine.
»Menschen leben auch hier.«
»Aber sie sind die Nigger von Jarl. Wenn sie sich so verhalten, wie er das will, lässt er die Zügel locker – ›Tiere sollen so sein, Menschen dürfen das nicht tun.‹ Ich will nichts mit einer Sache oder Bewegung zu tun haben, die anderen ihr Verhalten vorschreibt. Ich will nichts von einem Muss wissen.« Sie stapfte davon, nach kurzem Zögern folgte
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