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Zeit und Welt genug

Titel: Zeit und Welt genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
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auf sie und war in seine Gedanken versunken. »Er wird seinesgleichen vermissen«, sagte sie leise mit einem Blick auf ihn.
    »Seine Seele trauert«, bestätigte Weide, »weil sein Volk vergeht wie Laub im Winter.«
    »Wir sind jetzt seine Familie«, sagte Siskin. Er sog an Windos Pfeife und gab sie zurück.
    »Wir gehören alle zusammen«, erklärte Palme, stand plötzlich auf und tanzte einen Gemeinschaftstanz.
    Granpan griff nach seiner Flöte und begleitete den zauberhaften Tanz der Nymphe. Weder Zuckerkiefer noch Palme konnten lange sitzen, als die Musik eingesetzt hatte. Bald drehten sich alle drei Dryaden fröhlich mit ihren Schatten im Zauberlicht des lodernden Feuers.
    Siskin erhob sich als nächster zum Tanz, und sogar Windos Fuß wippte im Takt zu Granpans Musik. Andere Tiere kamen hinzu und sprangen umher wie die Flammen; Lauten erklangen, Lieder ertönten, sogar Jasmine, die keinerlei Musikgehör hatte, klatschte dazu.
    Joshua brauchte, angeregt durch Grog und Musik, keine besondere Aufforderung. Als die anderen eine Pause einlegten, um wieder zu Atem zu kommen, sang er:
     
    »Der Jäger ist ein froher Mann,
    sitzt er am warmen Herd sodann,
    er singt so laut, wie er nur kann,
    im grünen Laub, juchhe.«
     
    Und sofort fielen die anderen vielstimmig ein:
     
    »Drum hei di ho
    und ho hei ho
    und heidideldum di hei
    im grünen Laub, juchhe.«
     
    Und immer weiter und weiter, bis schließlich alle vom Gesang müde waren und sich hinsetzten, um einander Geschichten zu erzählen. Jasmine war darin sehr erfolgreich und unterhielt ihre Zuhörer mit Asops Fabeln, bis es spät wurde.
    Granpan hatte die Geschichte vom Fuchs und vom Löwen halb gehört, als er zu frösteln begann. Das Feuer war nur noch Glut. Palme schmiegte sich an ihn, und bis er sich umsah, erzeugten sie im Schutz von kühler Nacht und warmen Stimmen durch ihre Liebe neue Wärme.
    Zuckerkiefer fand Joshua bald wieder. Er war schwerfällig vom Wein, leicht von der Musik, tief erfasst vom Gefühl der Zusammengehörigkeit, während er auf die vereinzelten Regentropfen an den Spitzen der Weidenblätter starrte, die im Feuerschein wie dicke Tränen funkelten. Als sie sich in seine nur wenig abwehrenden Arme schob, spürte er, wie die Belastungen seiner Reise sich in der Ungewissen Vergangenheit und Zukunft auflösten. In diesem Augenblick kannte er nur ihre Brust auf der seinen, den Wind an seinem Rücken, Sternenlicht zwischen den Bäumen und das beruhigende Murmeln der Gespräche im Hintergrund, wie das Rauschen einer Brandung.
     
    Sonnenaufgang.
    Jarl ging zwischen seinen Soldaten herum, knurrte Späße und biss in Ohren. Als er die Morgenglut erreichte, wo Joshua, Beauty und Jasmine saßen und sich halblaut unterhielten, blieb er stehen, lächelte und setzte sich.
    »Meine Tiere mögen euch«, sagte er mit einem Nicken. »Ich hoffe, ihr bleibt bei uns.«
    »Wir bleiben nicht, Sir«, sagte Beauty entschieden.
    Das Lächeln des Bären-Königs verschwand.
    »Dann muss ich mit großem Bedauern …«
    »Ihr müsst ein Gericht einberufen, Euer Ehren. Wir fordern das Recht auf Rudelprozeß.«
    Das war ein altes Vorrecht. Wenn ein Tier gegen die Gesellschaftsordnung so verstieß, dass andere Tiere sich dagegen auflehnen mussten, konnte es, statt zu kämpfen oder zu fliehen, ein Stammesgericht verlangen. Diese Entscheidungen waren bindend und sofort vollstreckbar. Wenn das Urteil auf Tod lautete, kam eine Flucht nicht mehr in Betracht. Das war aber in der Zeit vor den Tier-Königen gewesen, als die Rudel wild umherstreunten und das Chaos in den Jahren nach dem Eis das Land verwüstete. Es war die Art, wie die Tiere sich selbst eine Ordnung gaben und sie durchsetzten. Als die Könige kamen, war der Rudelprozeß nicht mehr nötig: Die Könige waren die Richter, sie machten das Gesetz – oder vielmehr floss das Gesetz durch die Könige.
    Trotzdem war der Prozess ein uraltes Vorrecht, das immer noch galt. Und Beauty hatte so laut gesprochen, dass viele Tiere es hörten. Köpfe drehten sich. Es wurde still.
    Jarl sinnierte ein Weile und starrte auf den Boden. Schließlich hob er den Kopf.
    »Und da er euer Recht ist, bekommt ihr ihn auch.«
    Die Geschworenen, ausgewählt von Jarl, saßen im Halbkreis zu beiden Seiten seines Throns den Angeklagten gegenüber. Es waren acht: Granpan, Weide, Windo; Dreiklaue, ein alter Bär, Dru, die Eule, Gray, die Wölfin, Louise, ein Ursamensch-Krieger, und Roul, ein Roul. Sie saßen ernst, auf einer Seite, aufgerichtet

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