Zeit und Welt genug
hinein. Das war schmerzhaft und lähmte, obwohl das bei mir nicht annähernd so wirkte wie beim armen Lon, weil meine Plastikhaut so dick ist. Dann hängten sie uns mit dem Kopf nach unten in Netze, damit sie nach Lust von uns speisen konnten. Spinnen töten dich nie sofort, sie lähmen dich nur und fressen dich langsam bei lebendigem Leib. Wenn du dann halb tot bist, nagen sie kleine Löcher in deinen Bauch und legen die Eier hinein. Wenn die kleinen Spinnen ausschlüpfen, ernähren sie sich von dir, bis du stirbst. Ich sage euch, ich war nicht gerade begeistert.«
Sie fröstelte bei der Erinnerung. Eine Schlange zischte irgendwo im Unsichtbaren, und sie zuckten alle zusammen. Der Urwald leuchtete.
»Dann geschah etwas Seltsames«, fuhr sie fort. »Das Kokain an Lons Rücken lief aus. Zu seinen Füßen entstand ein Häufchen weißes Kristallpulver. Ein paar von den Spinnen liefen dort im Kreis herum, berührten es, leckten, leckten wieder, riefen ihre Freunde herüber – und bis wir uns umsahen, waren sämtliche Spinnen in der Höhle im Rausch. Aber richtig. Sie surrten hin und her, spannen Fäden, rauften, schnatterten durcheinander, waren völlig außer sich. Ein paar liefen aus der Höhle, und auf einmal stürmten sie alle hinaus, wohin, weiß ich nicht. Und Lon und ich blieben hängen.
Nun hatte ich ja, wie erwähnt, nur eine schwache Dosis erwischt, so dass ich zwar Schmerzen hatte, mich aber noch bewegen konnte. Ich bekam schließlich mit Gewalt einen Arm frei und riss von dem Gewebe ab, was ich konnte, fetzte das Zeug von meinen Füßen, packte Lon einfach so, wie er war, schwang ihn auf meine Schultern und sah zu, dass ich fortkam. Ich konnte mich kaum bewegen, aber ich hatte noch nie solche Angst gehabt, und das treibt einen hübsch an. Ich schleppte uns beide einen ganzen Tag lang durch den Dschungel, bis ich eines meiner Verstecke fand, in einer Höhle hinter einem Wasserfall. Wir schliefen da zwei Tage lang die meiste Zeit, bis das Gift seine Wirkung verlor. Ich pflegte Lon noch eine Woche, und wir kamen uns in der Höhle hinter dem Wasserfall ziemlich nah.« Ihre Stimme und ihr Blick verrieten ihre tiefen Empfindungen. »Jedenfalls nennen wir das seitdem die gelbe Ziegelstraße.«
Josh sah sie verwirrt an.
»Ich komme immer noch nicht mit«, sagte er. »Gelb? Ziegel- Straße?« Er hatte mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört, aber bei der Pointe wurde er das Gefühl nicht los, dass er etwas Wesentliches verpasst hatte.
Jasmine lächelte nur und zuckte mit den Schultern.
»Da musste man wohl dabei sein.«
»Hast du Lon dann noch einmal wieder gesehen?« fragte Beauty interessiert.
»Wieder gesehen? Wir taten uns zusammen. Waffenschmuggel, Kopfgeldjagd. Fünf, sechs Jahre lang trieben wir uns herum. Lon machte ein Vermögen und setzte sich zur Ruhe.«
»Und du?«
»Ich hatte den besten Freund meines Lebens gefunden.« Sie lächelte, als sie an Lon in seiner Zeit als junger Mann dachte, ihr ungestümer, strammer Vampir-Liebhaber, Banditenkamerad, Mentor und Freund. Sie glaubte einen Augenblick lang, sie könnte dergleichen auch für die beiden Begleiter hier werden. Das verlieh ihr ein Gefühl der Wärme, dessen Ursprung sie nicht ganz zu erkennen vermochte. Es musste mit innerer Verwandtschaft und der Übergabe von Stafetten und geheimem Wissen und einem Gefühl zu tun haben, dass das Leben immer weitergeht. Während sie diesen Gedanken nachhing, bemerkte sie ein Merkzeichen am Weg und blieb stehen.
»Ah, wir sind da«, sagte sie, verließ den Kalksteinweg und stürzte hinein in den Dschungel. Die anderen folgten ihr.
Isis fühlte sich nicht wohl. Sie hatte einen Käfer verschlungen, der ihr nicht bekam. Ihr Kopf schmerzte sie, ihre Augen brannten, ihr Magen verkrampfte sich. Sie leckte Wasser aus einem algengrünen Teich, aber auch das schmeckte merkwürdig.
Sie durfte jetzt nicht nachlassen. Sie war den Bösewichten durch den Wald der Tränen gefolgt, über die harten Thenar-Ebenen, wo sie keine Spuren hinterließen, über die Sattelberge hinein in diesen wuchernden Dschungel. Manchmal erinnerte sie sich daran, dass das für Joshua geschah, dann verstärkte sich ihre Entschlossenheit. Einmal hatten Banditen sie um ein Haar gefangen, um sie zu verzehren, einmal hatte sie die Witterung verloren, aber bald wieder gefunden. Jetzt konnte sie die Vampirbande nicht mehr sehen, aber die Fährte war immer noch deutlich. Sie zwang sich, weiterzugehen, einen Fuß vor den anderen zu
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