Zeit und Welt genug
setzen.
Plötzlich ein anderer Geruch. Keine Fährte, nur eine ganz schwache „Witterung, von fern hergeweht. So fein, als wäre Regen auf den Geruch gefallen und verdunstet, und nun hätte sich der geruchbeladene Dampf zu Feuchtigkeit verdichtet und wäre auf Isis herabgeregnet. Ganz schwach, aber erkennbar. Es war Joshuas Geruch.
Sie war unsicher, welche Richtung sie nehmen sollte. Sie wollte die Spur der Vampire nicht verlieren, aber Josh war irgendwo in der Nähe. Eine Zeitlang geriet sie vor Unentschlossenheit außer sich; sie jagte viermal im Kreis herum ihrem Schwanz nach, blieb stehen, drehte sich noch zweimal um ihre Achse und blieb endlich japsend auf einem bemoosten Stein sitzen.
Was tun? Sie konnte fortfahren, der Fährte zu folgen, den Vampiren und der Menschin mit dem Blutgeruch. Aber wenn Joshua nicht da war, konnte niemand sehen, wie klug und hübsch sie war. Sie bewunderte sich einige Augenblicke lang und putzte das Fell, das nach dem Unfall mit dem Drachen wieder nachwuchs.
Oder sollte sie Josh gleich suchen und ihm zeigen, was er verpasst hatte? Dann würde er aber nicht sehr stolz auf sie sein, wenn sie die Spur der Blutigen verlor.
Was tun? Was tun?
Plötzlich huschte ein kleiner Rattenaffe neben ihr ins Dickicht. Isis hieb instinktiv nach seinem Schwanz, dann jagte sie hinterher. Er schlug Haken, hetzte unter Ranken, zwischen Bäume, durch Laubschatten. Isis verfolgte ihn. Sie rasten Bäume hinauf, sprangen von Ast zu Ast. Vögel und kleine Lebewesen stoben mit gellenden Schreien auseinander. Isis bekam den Rattenaffen kurz am Hinterbein zu fassen, aber das elende Wesen entkam schließlich in einem Echsenbau, in den ihm nicht zu folgen Isis vernünftig genug war.
Abscheulicher Wurmfraß, dachte sie und leckte ihre Pfote. Echsenfutter jetzt. Geschieht dir ganz recht.
Sie wunderte sich plötzlich. Sie schaute sich in dem Gewirr von verfaulenden Mangofrüchten, blühenden Lianen und wuchernden Farnen um. Wo ist das hier? fragte sie sich. Was mache ich da?
Ein Geruch streifte ihre Nase – sie drehte den Kopf sofort nach links und schnupperte die lastende Luft, stand regungslos, hochaufgerichtet. Sie kannte den Geruch. Vampir und Unglücksfall – ohne jeden Zweifel Unglücksfall – und Menschin mit dem Blutgeruch. Richtig, jetzt fiel es ihr ein – sie folgte ihnen für Joshua. Bei dem Gedanken an Joshua stolzierte sie an einem stillen Teich hin und her und beobachtete das Spiegelbild der verlockenden Katze, das sie dort sah. Hochmütig war sie mit sich zufrieden und schloss die Augen vor unsichtbar anerkennendem Publikum. Der Geruch kam aufdringlich wieder, stärker als vorher.
Isis duckte sich und kniff die Augen zusammen. Sie hatte sie nun, so rasch würden sie ihr nicht entwischen. Mit überaus kühner List machte sie sich an die Verfolgung. Ja, Joshua würde sich freuen.
Sie blieb kurz stehen, um den halbverdauten Käfer heraufzuwürgen, dann lief sie schwindlig weiter.
Rose hörte Nancy hinter sich wimmern.
»Was ist denn?« flüsterte sie über die Schulter. Sie gingen schleppend einen holprigen Pfad entlang. Überall stieg Dampf auf. Das bösartige Leuchten der Nacht verblasste, als die Sonne das erste Licht auf die Baumwipfel warf.
»Er ist tot«, stöhnte Nancy. »Mein Billy ist tot.« Sie begann hemmungslos zu schluchzen.
Rose drehte den Kopf nach hinten. Das Baby hing schlaff in Nancys Armen, die starren, blauen Lippen offen an ihrer Brust. Rose sagte leise und drängend: »Sei still.«
Nancy starrte Rose fassungslos an.
»Sag es niemand«, fuhr Rose fort. »Tu so, als ob er schliefe. Wenn sie dahinter kommen, dass er tot ist, verschlingen sie ihn.«
Ein Schrei entrang sich Nancys Mund. Rose nahm ihr den Säugling weg und presste ihn an ihre Brust. Sollte das meine ganze Mutterschaft sein? dachte sie. Ein totes Kind?
Sie machte sich Gedanken über Beauty und Josh. Würden die beiden sie finden? Waren sie überhaupt noch am Leben? Sie liebte sie beide, und der Gedanke, sie könnten auf der Suche nach ihr zugrundegehen, trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie wollte so gern ein Kind mit Beauty haben. Sie wollte wieder auf ihm reiten, den Wind in ihren Haaren und seinen Rücken zwischen ihren Knien spüren. Sie wollte seine Mähne flechten, sie wollten … aber das waren müßige Gedanken; sie wusste es.
Plötzlich, bevor sie noch einen festen Plan mit dem Kind in ihren Armen entworfen hatte, bot sich schlagartig und ohne Vorwarnung eine Gelegenheit: Sie ging
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