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Zeit und Welt genug

Titel: Zeit und Welt genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
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zusammengebracht hatte, damit sie diese erstickende Welt durchqueren konnten.
    Auch Beauty war dankbar für Jasmines Anwesenheit. Sie hatte sich bei mehr als einer Gelegenheit als tüchtig erwiesen, und wenn sie diese Wälder kannte, war das nur gut. Sie fühlte sich nach dem Zwischenspiel bei Jarl wieder besser im Gleichgewicht – oder wenigstens nicht mehr ganz so schwankend. Er war bereit, die Suche wieder aufzunehmen. Ich mag noch nicht wissen, ob ich Mensch oder Wesen, Erfindung oder Erbe bin, dachte er, aber eines weiß ich: Ich bin Jäger. Es tat schon gut, in dem ganzen Durcheinander nach Spuren zu suchen.
    Allein Jasmine konzentrierte sich auf ihre Sinne und verzichtete auf abirrende Gedanken. Die Erinnerung machte ihr trotzdem zu schaffen.
    Sie erreichten die Bäume, als die Sonne hinter den Bergen verschwand, aber seltsamer-, beinahe erschreckenderweise war die Nacht nicht dunkel. Die Pfützen und die halb im nassen schwarzen Boden versinkenden Felsen, die Sockel der feuchten Bäume leuchteten von roten phosphoreszierenden Algen. Das Leuchten schien aus dem Boden zu kommen wie eine regungslose rote Flut und warf einen unheimlichen granatroten Schein auf die erwachenden Schatten der dampfenden Nacht.
    Zum ersten Mal spürte Joshua Angst. Unhörbar sang er vor sich hin – ein altes, mächtiges Zauberlied, das seine Mutter ihm vor vielen Jahren beigebracht hatte: »Abezedeeeffge, ha-i-kaelemenoh, pi …«
     
    Dicey legte ihren Kopf in Roses Schoß, während der Regen herabträufelte.
    »Wie das wohl ist, wenn man trocken wird?« murmelte das junge Mädchen.
    »Wenigstens frieren wir nicht«, sagte Rose. Sie streichelte Diceys Stirn.
    Die anderen Menschen ringsum dösten oder nagten an den Überresten der kleinen Echsen, die sie zu essen bekommen hatten. Auf der anderen Seite der Lichtung gaben zwei Unglücksfälle tiefe, gurgelnde Laute von sich, während sie einen toten Panther auseinander rissen und abnagten. Neben ihnen schliefen die Vampire.
    Am Rand der kleinen Fläche trommelten Regentropfen auf einen kleinen Waldteich, der rötlich leuchtete. Rose starrte dumpf in die Tiefe und versuchte sich daran zu erinnern, wie es war, frei und glücklich zu sein. Sie sehnte sich nach Beauty. Ihre neue Freundin Nancy saß hinter ihr und stillte Ollie, der sich noch immer kaum regte. Nancys Baby lag abgemagert in ihrem anderen Arm und schlief.
    Irgendwo im Urwald keckerte irr eine Hyäne. Nancy fröstelte trotz der Hitze.
    »Willst du meine Jacke?« fragte Rose. Sie spürte ihre eigenen Bedürfnisse weniger, wenn sie anderen helfen konnte. Sie wusste das von sich und nutzte das Wissen wie ein Musiker, der andere mit seiner Musik beruhigt und damit auch sich.
    Nancy lächelte blass und schüttelte den Kopf. Sie näherte sich langsam der Grenze, hinter der es keine Hilfe mehr gab.
    Dicey rieb zerstreut die blauen Flecken an ihrem Hals und starrte leer vor sich hin.
    Plötzlich flatterte eine kleine Fledermaus in die Lichtung, stürzte im Flug auf sie herab, biss Mary in den Fuß. Mary war Nancys Schwester und die Frau von Fofkin, dem Elf. Sie schlug mit der Hand nach dem Tier. Es flatterte rasch in die Bäume hinauf, ruhte sich kurz auf einem abgestorbenen Ast aus, lachte kurz und erregt und flog in den dichten Urwald zurück. Rose blickte auf Marys Fuß. Er blutete. Sie starrten angstvoll zu den Vampiren hinüber, die immer noch ungestört schliefen. Rose legte eine Handvoll Laub und Schlamm auf die Wunde, zog ihre Jacke aus und hängte sie Mary um. Mary seufzte und ließ sich zurücksinken. Sie suchte nach Schlaf.
    Eric, ein schlaksiger blonder Jüngling, kroch herüber.
    »Liegt jemand bei mir?« fragte er klagend. »Ich brauche jemand, bei dem ich liegen kann.«
    Es blieb still. Mary sah ihn an und streckte die Arme aus. Er lächelte schlaff und legte sich zu ihr. Sie hielten einander fest, regungslos, Bauch an Bauch, Wange an Wange. Sie blickte über seine Schulter, er über ihre in die Dunkelheit.
    In der Nähe schrie ein Vogel.
    Die Unglücksfälle beendeten ihre Mahlzeit und schliefen ein.
    Als der leise Regen aufhörte, begann der Boden zu dampfen wie roter Todessumpf.
    »Da«, sagte Rose und gab Mary, Nancy, Dicey und Eric Knoblauchzehen. Sie hatte die Knolle im Wald der Tränen gestohlen und jeden Tag heimlich eine Zehe gegessen. Angeblich wurde das Blut für den Gaumen eines Vampirs dann unappetitlich. Sie kaute bedächtig.
    Mary schluckte ihr Stück auf einmal hinunter und schnitt eine Grimasse, Nancy

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