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Zeit und Welt genug

Titel: Zeit und Welt genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
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kam ihr zehnfach zum Bewusstsein, wenn der Strom der Worte aufhörte, wenn er damit geizte. Ihr Hals prickelte dann, wie kurz vor der Berührung durch seinen Mund. Sie glaubte den Verstand zu verlieren.
    »Wie alt waren diese Worte?« fragte sie.
    Er lächelte schwach.
    »Sechshundert Jahre. Und immer noch zwingend.«
    Die Wärme an ihrem Hals breitete sich nach unten aus zur Brust, noch tiefer. Ihr Atem ging schneller. Sie hob die Hände und umfasste seinen starken Bizeps. Unwillkürlich spannte er die Muskeln an. Sie klammerte sich an ihn. Sie gingen weiter.
     
    Josh träumte am Ersticken zu sein und wurde wach. Die Mittagssonne schien hell in den Wald. Es war so heiß, dass man kaum atmen konnte. Der junge Mann weckte die anderen. Sie setzten ihren Weg fort.
    Bald tauchte eine Halblichtung auf, überwuchert von Orchideen. Im Treibhausdampf fiel das Atmen schwer. Der süße Duft schien auf der Zeit selbst zu lasten.
    Ein zarter grüner Fühler, der von oben herabhing, streifte Joshuas Arm und schlang sich herum. Er schnitt ihn mit dem Messer ab. Er blutete.
    Beauty blieb mit dem Fingernagel an einem Rindenstück hängen. Er fluchte – was er sonst nie tat – und stutzte alle sein Nägel mit dem Hirschmesser, das im Köcher steckte.
    Ein kleiner violetter Vogel flog zwischen den Bäumen heraus. Jasmine stürzte schaudernd zu Boden, raffte sich auf.
    Sie verließen eilig den unheimlichen Ort und schauten immer wieder um.
    »Gespenster«, flüsterte Jasmine.
     
    »Einer der Unglücksfälle hat Fieber, Bal-Sire«, sagte Uli nervös. Ein Unglücksfall im Fieberwahn war ein gefährliches Wesen.
    Bal überlegte kurz.
    »Skri soll sich um ihn kümmern.«
    »Aber der andere Unglücksfall …«
    »Sag Skri, er soll heimfliegen, wenn er fertig ist. Der andere Unglücksfall wird ihm folgen. Schlechtes Blut über sie alle.«
    Uli nickte.
    »Und die Gefangenen?«
    Bal zog die Brauen hoch.
    »Wir können die Gefangenen doch den Rest des Weges selbst fortschaffen …«
    »Gewiss, Sire Bal.« Uli wich zurück.
    Uli gab Skri den Befehl. Der Greif öffnete den Schnabel und stieß einen Schrei aus. Er flog hinauf auf einen Baum und wartete einen günstigen Augenblick ab, dann stürzte er sich auf den Bauch des kranken Unglücksfalls und riss ihn von oben bis unten auf. Der Unglücksfall kreischte, als Skri nach Süden davonrauschte.
     
    »Was war das?« fragte Josh. Der Schrei hatte sie mitten im Schritt erstarren lassen. Einen langen Augenblick blieb es im Dschungel totenstill, während der Nachhall verklang.
    »Da stirbt jemand auf furchtbare Weise«, sagte Jasmine.
    Der Wald nahm sein Leben wieder auf.
    Sie gingen eine Zeitlang an einem kleinen kühlen Bach entlang, wachsam, aber mit zunehmender Zuversicht. Josh bückte sich, um zu trinken. Die anderen folgten seinem Beispiel. Am ganzen Ufer wuchsen wilde Blumen in allen Farben, vermischt mir Farn, Pilzen, Klee. Die Wanderer legten sich lange in die Vegetation, genossen den unerwarteten Frieden und betrachteten still den strömenden Bach, wie er dampfend im Urwald verschwand. Josh blähte die Nasenflügel. Er sog den Blumenduft ein, für Augenblicke am kristallklaren Wasser mit sich selbst im reinen. Beauty tauchte den Kopf ins Wasser und ließ die Strömung mit seinem Bart spielen. Auch er empfand innere Ruhe.
    Als Josh schließlich aufstand, erstarrte er und lauschte.
    »Habt ihr das gehört?« fragte er. Es war beinahe ein Geräusch, kaum ein Hauch.
    »Was?« fragte Jasmine und stand auch auf.
    »Ich weiß es nicht genau. Es klang wie ein Lied. Oder was weiß ich.«
    »Jetzt höre ich auch etwas«, sagte Beauty. Seine Ohren stellten sich auf. »Es ist Musik.«
    Jasmine nahm es ebenfalls wahr. Eine Stimme: klagend, wehmutsvoll, lockend. Ihr gefiel das nicht.
    »Gehen wir. Diese Richtung. Ich glaube, ich habe Bals Witterung …«
    Aber die beiden anderen rührten sich nicht.
    »Kommt schon.« Sie zerrte an ihnen. An Verzauberung glaubte sie nicht, aber dieser Ort war ihr unbehaglich. Ihre Instinkte trogen nicht.
    Widerwillig folgten sie ihr am Fluss entlang.
    Ena presste Rose an einen Baum und trank.
    Rose versetzte sich in Trance.
    Ich will nicht sterben, dachte sie. Ich will nicht sterben. Ich will …
    Ena wich zurück und spuckte aus.
    »Du hast Knoblauch gegessen, du widerliches –«
    »Sire Ena!« schrie Bal.
    Ena erstarrte. Rose ächzte und presste die Finger auf die Halswunde, um die Blutung aufzuhalten. Bal sprach mit ruhiger, aber strenger Stimme weiter. »Kein

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