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Zeit und Welt genug

Titel: Zeit und Welt genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
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Gebäude, ziellos wie ein Waisenkind. In der Vegetation lagen Bruchstücke aus einer anderen Zeit verstreut – Telefone, Brotröster, Totenschädel. In hohem Schilf und wucherndem Gesträuch lag das verrostete Wrack eines alten Autos. Das Vorderteil war längst zerfallen, die Fensterhöhlen gähnten leer.
    Wahrscheinlich alles ausgebaut, dachte sie. Um Bauteile zu haben. Vielleicht für mich.
    Sie schaute hinein. Auf dem zerfetzten Rücksitz gebrauchte eine hellblaue Göttin mit mindestens vier Armen, die geschmückt waren mit vielen Goldketten, alle ihre Hände, um die scharf umrissenen Muskeln eines blauen, sinnverwirrenden Gottes zu streicheln. Shiwa, die Dionysos verführte. Plötzlich begannen sich jedoch die Züge des jungen Mannes zu verzerren, sein Körper wechselte die Gestalt. Er war nun grauenhaft, eine ekelerregende alte Schachtel, dann verwandelte er sich in ein Spiegelbild der vielarmigen Göttin. Die beiden herrlichen blauen Gottheiten umarmten sich, verschlangen ihre Glieder ineinander, verloren sich. Shiwa verführte Shiwa. Bis zur letzten Wandlung. Das vielgestaltige Fleisch der einen schmolz und ließ in den Armen der anderen nur ein Skelett zurück. Der Tod verführte Shiwa. Die strahlend blaue Göttin versuchte schwach, die Knochenfinger von ihren erschlaffenden Schenkeln zu lösen, aber er schmeichelte ihren Lippen, ihre Lippen waren feucht, und schließlich zog sie die Skelettfinger heran.
    Jasmine wandte sich ab, ihr Herz war so hohl wie die zerfallende Hülle des toten Autos.
    Wer kann etwas lieben wie mich? dachte sie. Nicht einmal der Tod.
    Ein junger bronzener Mann kam auf sie zu. Der erste Blick verriet, dass er Priapus hieß. In ihren Lenden regte es sich, aber ohne Gefühl, ohne Seele. Beiläufig streichelte sie seinen Namensgenossen, bis er anschwoll, emporstieg, hart wurde und lang wie ihr Arm. Jasmine fühlte sich trotzdem leer wie ein verrosteter Wagen im Dschungel. Sie spürte die kalten Finger des Todes an ihren Knien, aber sie war trocken wie Sommerstroh und wusste, dass er bald das Interesse verlieren würde. Sie fühlte sich ausgetrocknet von ihrer Unschönheit, ein Wesen toter Technologie. Tote Vergangenheit, tote Zukunft. Nur der endgültige Vorgang entzog sich ihr. Das Skelett verwandelte sich in Priapus. Jasmine ging davon.
     
    Ein Vogel flatterte ins Freie. Er kreischte einmal, tauchte hinab in den blaugrünen Teich, drang tiefer und verschwand.
    Durch eine Seitenstraße rollte eine große Stahlkugel und dröhnte unheilvoll. Sie blieb kurz vor einer halb zerfallenen Mauer stehen, dann rasselte sie weiter in die Dunkelheit am Ende der Stadt. Aus dem großen Teich blubberte ein lang gezogenes Stöhnen und brach zu einem Wispern zusammen, bevor es erstarb.
     
    Josh lag auf dem Rücken und starrte zu den Sternen hinauf. Wie tief sie schwammen. Die Zeit spielte mit ihm Fangen. Sie erstarrte, ließ die Sternbilder im tiefschwarzen Raum erstarren. Sie raste und rotierte wie ein Feuerwerkskörper. Stop-Zeit, Sturm-Zeit. Traum-Zeit. Raum-Zeit. Raum. Zeit.
    Eine Mänade legte sich zu ihm. Ihre Augen waren Spiegel, und als er hinaufblickte, wurden sie so tief wie der Weltraum.
    »Worte sind dort geschrieben, die du nie sehen wirst«, sagte sie in der Glassprache, die er verstand, aber nicht kannte.
    »Vielleicht wird mein Kind sie lesen …«
    Sie schüttelte den Kopf. »Die Worte sind in der Zeit verloren.«
    »In der Zeit wovon?« fragte er verwirrt.
    »In der Zeit auf ewig.«
    »Ewig ist eine lange Zeit.« Er konnte das Gespräch nicht fassen, das sie führten. Er begriff es beinahe, dann entglitt es ihm wieder.
    »Ewig ist Nicht-Zeit. Zeitlos.« Ein kurzes Lachen entrang sich ihr schrill. »Wir haben Nicht-Zeit.«
    »Nicht-Zeit wofür?« fragte er. Was sollte er tun?
    Ein hallend dumpfer Schlag erfüllte die Luft, wie der Schlag eines Herzens, als sei die ganze Stadt ein Herz. Die Bäume vibrierten, die Gebäude bebten. Es geschah noch einmal, später, aber dann nicht mehr.
     
    Wesen gingen an Beauty vorbei, sahen ihn aber nicht. Er kam von leerer Angst zu leerer Einsicht. Unsichtbarkeit machte seinen Blick klar, so dass er die Dinge sah, wie sie wirklich waren.
    Eine Schar Satyre verwandelte sich in Schweine. Eine sich putzende Katze wurde zu einer schmachtenden Frau. Vögel waren Blumen, Haut runzelte, Glieder verformten sich. Herzen schienen hindurch, manche rot, manche schwarz. Er sah sie alle, nur sich selbst nicht; für sich blieb er unsichtbar.
     
    Josh ging zu einem

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