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Zeit und Welt genug

Titel: Zeit und Welt genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
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Während er unsicher auf der Anhöhe stand, das silberhelle Lachen der Sirenen im Ohr, diese fremdartige Erscheinung vor sich, spürte er, wie sein Denken langsam aus der Bahn geriet. In welcher Beziehung das geschah, konnte er nicht sagen, aber er nahm eine Veränderung in seinen Sinnen wahr, einen ablaufenden Prozess, der von innen und von außen kam. Lustvoll, aber kompliziert verschlungen.
    Während sie dastanden, jeder versunken in wirres Staunen über die Geschehnisse, tauchte die Sonne hinter den fernen Gebirgshorizont. Und die Dschungelnacht senkte sich, wie gewohnt, rasch herab. Die Stadt aber blieb nicht dunkel.
    Ein großer Teich in der Mitte, gefüllt nicht mit roten, sondern türkisfarbenen Leuchtalgen, warf diffusen ätherischen Schein inmitten der Zentralgebäude: blaugrüne Mauern, kobaltfarbene Schatten. Und jeden Baum im Umkreis der rätselhaften Stadt, jeden Baum und jede Pflanze in ihr, jede Ranke, jeden Busch, kletternd oder still, umgaben Millionen und Abermillionen von Glühwürmchen. An manchen Stellen dünn, an anderen dicht zusammengedrängt, funkelten sie auf, blinkten und erloschen wie Sterne am Nachthimmel. Gleißend, strahlend.
    Wahrhaftig eine glitzernde Stadt.
    Die Sirenen lachten freudig über die Verwandlung und liefen hinab in den Zauberort, riefen mit ihren melodischen fremden Stimmen über die Schultern. Weder Josh noch Jasmine, noch Beauty kannten die Sprache, aber aus irgendeinem Grund verstanden sie alle, was die Sirenen sagten: »Die Stadt gehört euch.«
    Ena zerrte Mary hinter einen Felsblock und erstickte die Schreie des Mädchens mit einer Handvoll Farn. Sie schlug ihr ein paar Mal ins Gesicht und biss sie wild in die Kehle. Blut floss, die Vampirin trank; andere Lust wurde brutal geraubt.
    Als sie fertig war, ließ Ena das bewusstlose Mädchen zu Boden fallen und ging zurück ins Lager. Alle beobachteten sie. Das Geflüster schwoll an und erstarb, als Bal aufstand. Selbst der Dschungel schien zuzuschauen, nachtrot und dampfend.
    »Sire Ena«, sagte Bal ruhig, »Ihr habt Blut am Mund.«
    Sie führte den Finger an die Lippen, wischte einen klebrigen Tropfen ab, legte den Finger auf die Zunge und höhnte: »Schmeckt sehr gut. Was wollt Ihr?«
    »Wessen Blut ist das, Ena-Sire?« Seine Stimme blieb gelassen, aber seine Mundwinkel zogen sich beinahe unmerklich zu einer Maske kaum bezähmbaren Zorns hinauf.
    Ena zuckte mit den Schultern.
    »Die blonde Hure mit den großen harten Brustwarzen.« Sie lachte geil.
    Bal schnippte mit den Fingern. Diceys Kopf zuckte hoch, aber der Ruf galt nicht ihr. Uli sprang hoch, trat hinter den Felsblock, wo Ena herausgekommen war, kam zurück.
    »Sie ist tot«, sagte er ernst.
    »Tot«, höhnte Ena. »Das dünnblütige Weibsbild. Sie –«
    »Ihr hattet Befehle«, sagte Bal beinahe flüsternd.
    »Befehle«, zischte sie. »Ihr wagt es, mir den Befehl zu geben, mich mit den Primitiven nicht zu vergnügen, wann es mir beliebt, während Ihr das kleine Miststück da aussaugt und –«
    Er stürzte sich mit solcher Geschwindigkeit auf sie, dass die Bewegung vor den Augen verschwamm. Mit der rechten Hand riss er ihren Kopf zurück. Aber auch sie war schnell und warf sich zur Seite, so dass seine Fangzähne sich in ihre Schulter schlugen. Gleichzeitig fuhr sie mit ihren Krallen an seinem Hals herunter. Sie fuhren auseinander. Beide hatten Blut gesehen.
    Sie umkreisten einander, während die fassungslosen Menschen den tödlichen Tanz beobachteten. Uli stand hinter den Gefangenen und achtete darauf, dass niemand die Gelegenheit zur Flucht benutzte.
    Die beiden Vampire hatten ihre Schwingen halb geöffnet, um das Gleichgewicht besser halten und sich rasch in die Luft schwingen zu können. Bal blutete am Hals, Ena an der Schulter. Ihre Augen glühten. Plötzlich schoss Bal zehn Meter in die Luft hinauf. Ena wich an einen Baum zurück. Bal zog die Flügel schlagartig ein und schoss im Sturzflug auf seine Gegnerin hinab. Sie bleckte die Zähne, hieb mit den Krallenfingern zu, als er sie erreichte – aber er spreizte blitzschnell die Flügel und kam zum Stillstand, so dass sie ihn verfehlte. Bevor sie nachsetzen konnte, hatte er sie gepackt.
    Mit der Linken hielt er einen ihrer Flügel fest, die Rechte packte von hinten ihr Kinn, presste ihren Mund zusammen und legte ihren Hals frei. Brutal schlug er die nadelspitzen Zähne in ihre Halsschlagader.
    Sie fauchte wie ein tollwütiger Wolf. Sie stürzten zu Boden. Er löste den Mund nicht von ihrem Hals. Sie

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