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Zeit und Welt genug

Titel: Zeit und Welt genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
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rätselhaften Kasten, eine Seite von ihm bestand aus verdrecktem Glas, die andere aus Holz. Jasmine erschien.
    »Ein Fernsehapparat«, sagte sie.
    »Was tut er?«
    »Er hat bewegte Bilder von Menschen gemacht. Durch ihn sahen sie aus wie wirkliche kleine Menschen, die im Inneren herumliefen.«
    »Echte Menschen?«
    »Nein. Das heißt ja.«
    Drei Teufel mit gespaltenen Hufen, gehörnten Widderschädeln und Drachenschwänzen stürzten herein. Sie stanken nach Verderbtheit und Verfall. Sie stießen Josh zu Jasmine, pressten ihn an sie, verhöhnten und stachen die beiden, zwickten sie, folterten sie. Sie stießen Jasmine zu Boden, drückten Josh auf sie. Jedes Mal, wenn Josh aufstehen wollte, wurde er niedergestoßen. Sie kauerten nieder, rieben sich an den beiden gekrümmten Gestalten, griffen aneinander herum, kamen zu üblen, wilden Ejakulationen, stürzten davon.
    Josh und Jasmine fielen voneinander, schlaff, willenlos. Sehnsuchtsvoll, ungefestigt. Krank im Gemüt.
     
    Geister schwammen über den Teich wie ungewisse Gedanken. In den westlichen Bäumen ein schaler Wind.
    Beauty stand am Waldrand und starrte hinaus. Nur Schwärze. Die bewegte Dunkelheit seines Lebens.
    Josh kam heran und blieb neben ihm stehen. Er sah dieselbe Schwärze.
    So standen sie vor der Dunkelheit und teilten ihre einsamen Verluste, ihre Getrenntheit. Sie berührten einander nicht, spürten aber das Gemeinsame.
     
    Ein fauliger Geruch kam stark auf. Moschusartig, überreif. Nicht vom Tod, doch von der Spur des Todes. Er verwehte in den Bäumen.
     
    Ein anhaltender Ton, gleichförmig, tief: mmmmmmmmm … Er schwang nach im Wald, in der Erde, im Gestein, im Gehirn. Er öffnete Augen.
     
    Jasmine saß im Garten vor der gefiederten Schlange.
    »Was ist dieser Ort?« fragte sie.
    »Er ist du«, sagte die Schlange.
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Nur, was ich verloren habe. Nur meine Ängste.«
    »Die Nacht ist noch jung. Es bleibt noch viel Zeit für Triumphe.«
    Ihr Gesicht welkte.
    »Ich habe so viel Zeit verloren.«
    »Zeit geht nie verloren«, zischte die Schlange. »Sie endet, sie beginnt wieder. Die Vergangenheit ist Teil der Zukunft. Sie sind eins.« Die Schlange biss sich in den Schwanz.
    »Anderes habe ich verloren. Liebste habe ich für immer verloren. Sie sind jetzt tot, oder ich bin tot für sie. Welten habe ich verloren, sie werden nie wiederkommen, und Gelegenheiten verloren und Augenblicke und Gefühle und Unschuld … und meine Menschlichkeit. Etwas hat mich verlassen, als ich die Veränderung durchmachte zu dem … was ich jetzt bin. Aber was bin ich?«
    »Eine vielseitige Frau.«
    »Eine aus vielen Teilen«, flüsterte Jasmine heiser.
    »Teile fügen sich zu einem Ganzen.«
    »Einem ganzen was?«
    »Nur du kannst es wissen.«
    »Ich weiß nichts.« Sie schüttelte den Kopf.
    »Frag die Sterne«, zischte die gefiederte Schlange.
    Jasmine blickte zum Himmel hinauf. Vorbei an der Spitze des Wolkenkratzers suchte sie nach der Venus, dem Stern der Liebe, einstens mehr. Er war nicht da. An seiner Stelle brütete Sirius, der Hundestern.
    »Ich verstehe nicht«, klagte Jasmine. »Sirius sollte noch nicht dort sein. Was ist aus dem Abendstern geworden?«
    »Die Nacht war lang«, sagte die Schlange.
    Aber Jasmine begriff nicht. Sie presste die Hände an den Kopf und versuchte zu verhindern, dass er noch größer wurde. Sie fühlte sich eingesperrt in eine Zeitlücke. Es gab keinen Weg hinaus, nur hinein.
     
    Die Luft gerann. Bewegte, erstarrte. Die Zeit war Entfernungen zwischen Materie. Materie entpuppte sich als Energie, nicht mehr. Das machte nichts; nichts machte Materie. Und keine Zeit mehr machte sich.
     
    Ein voller, tiefer Schrei des Wahnsinns zerriss die Nacht. Es war ein blinder, nicht-menschlicher Laut. Eine Fensterscheibe zerbrach. Im türkisfarbenen Teich gefror das Wasser kurz und schmolz erneut. Von den obersten Ästen fielen Blätter.
     
    Reiter mit schwarzen Ledermasken sprengten heran und sprangen ab. Joshua wich zurück, wurde aufgehalten von der Mauer.
    »Das ist der Schreiber«, knurrte ein Maskierter. Er schlug Joshua ins Gesicht. Der zweite schrieb Joshuas Namen auf ein Stück Papier und zündete es an. Das Papier wurde zuerst braun, dann schwarz um die Buchstaben. Die Wörter verloren sich in den Flammen. Die Maskierten ritten davon.
    Joshua lag betäubt am Boden. Langsam spürte er, wie er schläfrig wurde. Die Bilder verschwammen, er lag still. Glühwürmchen ließen sich auf ihm nieder, um eine andere

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