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Zeit und Welt genug

Titel: Zeit und Welt genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
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für Passion, Intuition, Nichts, Energie, Altruismus und Libration.« Sie lächelte mit geschlossenen Augen.
    »Ich verstehe nicht«, sagte Josh stockend. »Was meinst du mit …«
    Sie hob abwehrend die Hand.
    »Überlegte Geduld ist des Jägers Freund.«
    Josh klappte den Mund zu. Mit einem deja vu-Gefühl erinnerte er sich, etwas ganz Ähnliches zu Beauty vor Antritt der Jagd gesagt zu haben. Er starrte Wass staunend an. Konnte sie sein Inneres so gut kennen? Verspottete sie ihn?
    Sie erzählte weiter.
    »Neuromenschen, die sich die Elektrode ins Lustzentrum einsetzen ließen, nannte man Hedons. Die meisten existierten nicht lange. Sie waren es gewohnt, dauernd auf den Reizknopf zu drücken und tagelang höchste sinnliche Erlebnisse zu genießen, so dass sie oft verhungerten – jedenfalls taten sie das, bis sie ohnmächtig wurden. Dann wurden sie wach, aßen ein bisschen und fingen von neuem an. Ich glaube, es gibt nur noch wenige davon.
    Die mit den Elektroden im Aggressionszentrum hießen Cidons. Sie töteten begeistert – was sie natürlich in so viele gewalttätige Umstände brachte, dass die meisten davon ebenfalls tot sind. Sie waren wie die Brüller, sie hatten besondere Lust am Töten. Manche lebten, soviel ich weiß, sogar bei den Brüllern. Sie hatten eine gewisse Reinheit wie alle von der Vierfalt, aber ich mochte sie nicht.
    Cognons dachten nur. Sie trennten sich von Gefühl, Vernunft und Körper. Sie waren besessen von ihren eigenen Denkprozessen. Je mehr sie ihre Elektroden betätigten, desto mehr zogen sie sich in sich selbst zurück, analysierten jeden Gedanken und dann die Analyse. Unter ihnen gab es die höchstentwickelten Logiker überhaupt. Sie konnten ihr Wissen aber nur ihresgleichen mitteilen. Ich habe seit vielen Jahren keinen mehr gesehen.
    Aber die Deitons waren für mein Gefühl die interessantesten. Ihre Elektroden wurden ins Pineal-Zentrum, also in die Epiphyse, eingebracht – ein deutlich abgegrenztes Gebiet des Gehirns, dessen funktionelle Eigenschaften aber nur annähernd beschrieben werden konnten. Menschen, deren Zirbeldrüse angeregt wird, erleben zuerst Passion, nicht die Leidenschaft des Sinnlichen, sondern die Passion in ihrem tieferen Sinn, die Qual und Macht des Empfangens, die ungeheure Heftigkeit aller Empfindungen – Hass, Liebe, Leid, Angst, Freude, den Zwang des Eifers. Als nächstes waren sie in hohem Maß intuitiv – sie hatten ein Gefühl dafür, wie die Dinge wirklich waren, für augenblickliches Erfassen, für das Verstehen der Dinge ohne Nachdenken. Außerdem besaßen sie eine tiefverwurzelte Überzeugung – eine Wahrnehmung, heißt es –, dass nichts im All wirklich als Materie existiert, dass alles Energie ist, dass wir nur Ausformungen derselben Energie sind, dass nichts an und für sich Identität besitzt, dass wir ineinander verschmelzen, dass es keine Dinge gibt, dass das eigentlich Kennzeichnende am Kosmos seine Nichtigkeit ist. Es war vielleicht diese Einsicht, die sie so altruistisch, so menschenfreundlich machte. Auf jeden Fall waren sie bekannt für ihre selbstlose Hingabe an andere, ihre wahre Ich-Losigkeit. Und schließlich Libration: das langsame, träge Oszillieren um einen Mittelpunkt, wie ein Strahl, der in ewigem Gleichgewicht auf dem Drehpunkt tanzt, auf den man ihn gelegt hat.
    Das waren also die Manifestationen der Deitons. Sie waren wirklich gottähnliche Wesen. Die Epiphyse war bei gewöhnlichen Menschen unterschiedlich entwickelt, aber die Deitons regten nach ihrem Willen das Innerste an. Sie wussten wahrhaftig Dinge, von denen wir nichts ahnen.«
    Sie verstummte und starrte ins Leere, in die Vergangenheit. Jasmine nickte zustimmend.
    »Natürlich hast du recht. Ich kam nicht auf den Gedanken, aber der Magier in der Stadt Ohne Zeit muss ein Deiton gewesen sein – zu allem anderen, was er sonst noch war.«
    Josh und Beauty waren von dem Bild, das Wass gezeichnet hatte, gebannt – Joshua besonders von dem unvorstellbaren Intellekt der Cognons, Beauty mehr von den Eigenschaften der Deitons, vor allem vom Begriff der Libration.
    »Die Leidenschaftlichkeit des Magiers war nicht erkennbar«, fuhr Jasmine fort, »aber sie war ohne Zweifel vorhanden. Himmel und Hölle, genau das war es. Jeder Augenblick von höchster Eindringlichkeit. Und trotzdem schien die Zeit von einem Moment zum nächsten einfach zu verschwinden.«
    Wass bewegte nachdenklich den Finger. Sie zog eine Opiumpfeife aus dem Kimono und zündete sie an, bevor sie

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