Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zeit und Welt genug

Titel: Zeit und Welt genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
Vom Netzwerk:
lächelte ein schmales Opium-Lächeln.
    »Bravo! Der menschliche Lebensgeist.«
    Josh ballte die Faust. Beauty beherrschte sich mit Mühe. Jasmine sah, dass die Situation sich unerwartet verschlechterte. Sie verstanden einander nicht, Wass und Josh, sie waren auf verschiedener Wellenlänge. Josh sah nur Dicey, und Wass hatte alles gesehen. Jasmine stand auf, um die Anspannung zu mildern.
    »Ich glaube, es ist Zeit, dass ihr geht«, sagte sie zu den beiden Jägern. »Ich bleibe noch bei Wass, um verschiedene Dinge in Erfahrung zu bringen. Warum geht ihr nicht zum Hafen und seht euch um? Erkundigt euch unauffällig.« Sie legte die kräftigen Hände um Beautys Hüften und zog ihn hoch. »Unauffällig«, wiederholte sie und sah ihn fest an.
    Beauty hatte den deutlichen Eindruck, dass alles in seinem Leben einen Doppelsinn annahm. Er verließ zusammen mit Josh die Kneipe, zwei bedrückte Seelen auf der Suche nach einer Erinnerung, die sich verflüchtigte.
    Als sie fort waren, legte Jasmine sich zu Wass und küsste sie zärtlich auf die Wange.
    »Musst du immer die Drachenkönigin spielen?« fragte sie.
    Wass schloss die Augen, lächelte und griff nach ihrer Pfeife.
    Josh und Beauty verließen das ›Casa Bianca‹ stumm und gingen langsam an den alten Holzkais vorbei. Das Plätschern der Wellen an den Pfosten wirkte beruhigend. Die beiden Freunde wanderten umher, eingelullt vom gemächlichen Atem der See.
    »Was hat es für einen Sinn?« sagte Josh. »Was soll Schreibkunst, wenn es in hundert Jahren keine Schreiber mehr gibt, die lesen können?«
    »Von Schreibern hat sie nicht gesprochen«, wandte Beauty ein. »Sie sagte nur, dass die Menschen verschwinden werden.«
    »Egal. Diese Suche, meine Schriften, alle unsere Erlebnisse – alles ohne Sinn. Leer wie der Wind.«
    »Dein Leben kann trotzdem lange und erfüllt sein«, sagte Beauty beruhigend. Er versuchte, tröstend zu wirken, aber sein Herz war so schwer wie das von Josh.
    Joshuas Gesicht wirkte verbittert.
    »Ich war selbstzufrieden, als ich erfuhr, dass dein Volk keine Vergangenheit hatte. Wie hohl ist alles, wenn das meine keine Zukunft hat.«
    »Wir scheinen dazu bestimmt zu sein, unsere Verluste gemeinsam zu tragen«, sagte der Zentaur. Sein Mitgefühl für den Menschen war umfassend.
    »Ach, Beauty, früher teilten wir uns Triumphe. Was ist aus der Welt geworden?«
    Eine riesige Möwe flog über den Hafen hinweg, betrachtete die Lichter im Wasser und entschwand in die Dunkelheit.
    »Ich werde Schreiber werden«, sagte Beauty leise. Der Gedanke war ihm erst in diesem Augenblick gekommen, wie es bei großen Gedanken manchmal der Fall ist, ohne Nachdenken, ohne Absicht. Und als er es ausgesprochen hatte, war es ganz natürlich und richtig-
    Josh war entsetzt.
    »Aber du hast mir hundertmal erklärt, wie du der Schreibkunst misstraust. Was kann nur über dich gekommen sein, dass du –«
    »Um unsere Verluste geringer zu halten. Deine Qual wird kleiner sein, wenn deine Religion weiterlebt, nachdem deine Rasse ausgestorben ist. Und mit deiner Qual ist auch die meine geringer.«
    Josh war bewegt und schwieg.
    »Es ist nicht viel dabei, diese Krakelfüße zu lernen«, fuhr Beauty fort. Seine Stimme verklang.
    Josh legte die Hand auf den Rücken seines Freundes, die Augen waren feucht.
    »Freund, wir werden doch triumphieren …«
    Beauty fühlte sich gewürgt von einem Leid, das keine Antwort wusste. Die Worte strömten über seine Lippen, als liefe ein Topf über, dessen Inhalt endlich kocht.
    »Klon-Kriege, Rassen-Kriege, Entführungen, Rachefeldzüge. Nimmt das kein Ende? Kann kein Ende finden, was unsere Völker leiden müssen, bevor die Welt mit uns fertig ist?«
    Josh blieb stehen und sah zu dem mächtigen Zentauren auf.
    »Unser Trost ist hier, Beauty. Lassen wir die Leere in deiner Geschichte und meiner Bestimmung hinter uns. Hier und jetzt sind wir, was wir sind. Du suchst seit Jasmines Erzählung danach, was du bist und was sein mag. Du bist, der du bist, und kein anderer. Wie ich auch.«
    Beauty starrte in die Wahrheit auf Joshs Gesicht, und es dauerte eine Zeit, bis ein müdes Lächeln seine Zweifel überwand.
    »Alter Freund, es ist gut, dich neben mir zu haben.«
    Sie schwiegen eine Weile, als sie am Hafen weitergingen. Glühfische leuchteten schwach im seichten Wasser, schossen hinauf und fraßen die Käfer an der Oberfläche. Über ihnen prangte der Mond stolz als einziges Kind der Sonne. Wenigstens in diesem Augenblick schien die Welt mit den beiden

Weitere Kostenlose Bücher