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Zeit und Welt genug

Titel: Zeit und Welt genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
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alle auf die Kissen. Man stellte sich vor.
    »Joshua, Beauty – meine alte Freundin Wass. Sie besitzt das Lokal schon hundert Jahre, und wir kennen uns seit zweihundert.«
    Erst jetzt entdeckte Josh unter Wass’ Rougerot die perlenweiße Haut einer Neurofrau.
    »Bitte, verzeiht meine Vorsicht draußen«, sagte sie und wies mit dem Kinn auf den Vorhang, »aber ein Gramm Vorsicht ist eine Tonne Reue wert.« Sie senkte den Blick. »Ich werde ständig beobachtet.«
    »Aber selten erblickt«, fügte Jasmine mit zärtlichem Lächeln hinzu.
    Wass lachte leise. Sie wandte sich an Josh und berührte seinen Handrücken mit ihren zarten Fingerspitzen.
    »Das ist ein privater Witz, den sie meint. Es war einfach taktlos von ihr, eine solche Anspielung zu machen. Ich entschuldige mich mit meiner Eitelkeit für sie, auf die Gefahr hin, andere zu langweilen. Als ich diesen Körper – dieses Leben – wählte, nachdem ich vor zweihundert Jahren meinen menschlichen Körper verließ, schrieb Jazz mir dieses Gedicht:
     
    ›Lang und dünn,
    Drachenkönigin,
    voller Gier nach Gewinn
    und so verrückt,
    dass man selten sie erblickt,
    die Drachenkönigin.‹
     
    Sie riss weit die Augen auf, legte zwei lange, schwarzlackierte Fingernägel an ihre Lippen und sah Jasmine an.
    »So, da hast du’s, wenn du vor den Leuten Geheimnisse ausbreitest.«
    Jasmine sah ihre Freundin liebevoll an.
    »Gedicht hin, Gedicht her, du hast dich immer in einer Wolke verborgen.«
    »Da kann man am besten nachdenken.« Sie lächelte geheimnisvoll. »Aber genug von mir. Was führt solch vornehme Gäste in mein Reich?« Sie sah von einem Gesicht zum anderen.
    »Die Jagd«, erwiderte Josh.
    Er fühlte sich nach der Schlaffheit im Urwald von neuem Antrieb erfüllt. Die Jagd dauerte länger, als er sich das wünschte, und er hatte das Gefühl, dass Wass sie auf die Spur zurückführen konnte.
    Beauty war immer noch zu konfus, um etwas sagen zu können – im Zwiespalt mit sich selbst, ungewiss, was Jasmine betraf, überwältigt vom Leben in der Stadt.
    »Bevor wir uns damit befassen – was für einen Monat haben wir?« unterbrach Jasmine.
    Wass hob die Schultern.
    »Ich zähle sie nicht mehr. Herbst, dem Wetter nach.«
    Jasmine schüttelte den Kopf. Sie berichtete Wass von ihrem Zeitverlust in der fremdartigen Urwaldstadt und von einigen der surrealen Abenteuer, die sie dort erlebt hatten – manche, aber nicht alle, zu Beautys schamvoller, stummer Erleichterung. Er hatte die starke, beständige Liebe, die er für seine verlorene Rose empfand, noch immer nicht in Einklang gebracht mit den wirren Gefühlen, die Jasmine in ihm erweckte, vor allem, was die starke Erinnerung an ihr körperliches Zusammensein in der Stadt der verlorenen Zeit anging-
    Wass hörte sich Jasmines Geschichte an und nickte.
    »Von dem Ort habe ich gehört. Der alte Mann ist ein Hexenmeister. Er benützt psychotropische Drogen und Hypnose und andere Dinge, von denen ich wenig weiß. Er ist ein Deiton. Ihr könnt von Glück sagen, dass ihr entkommen seid – nur wenige entwischen von dort. Diejenigen, die herauskommen, sagen, das sei durch eine mächtige seelische Umwälzung oder Überhöhung dazu gekommen, dass der Bann gebrochen wurde. Vielleicht erzählst du mir eines Tages mehr.« Sie sah Beauty dabei an, und er hatte das deutliche Gefühl, dass sie durch ihn hindurch, in ihn hineinsah. Er senkte den Blick. Jasmine hielt es für ratsam, still zu sein. Wass sagte abschließend: »Ein andermal. Ich habe jedenfalls keinen Zweifel, dass das ein sehr eigenartiger Ort gewesen ist. Man hat ihn mit Himmel und Hölle verglichen.«
    »Was ist ein Deiton?« fragte Josh. Er war ganz gebannt von dieser hochgewachsenen, schlanken Frau, die so vieles andeutete, so wenig Genaues sagte.
    »Die Deitons gehörten zur Vierfalt. Deitons, Cidons, Hedons und Cognons. Alles Neuromenschen. Aber Neuromenschen, die sich zur Vierfalt bekannten, überließen sich einer Einseitigkeit, die unsereiner gar nicht begreifen kann. Die Vierfalt, das waren Neuromenschen, die sich der Mikrochirurgie am Gehirn unterzogen – sie ließen sich an verschiedenen Stellen ihrer Gehirne Mikroelektroden einpflanzen, angeschlossen an Eigenreizanlagen, angetrieben durch ihre Plutoniumzellen.
    Es gab zu der Zeit, als die Operation häufiger stattfand, vier deutlich umrissene Orte dafür; das Lustzentrum, das Aggressionszentrum, das kognitive Denkzentrum und das, was wir in Ermangelung genauerer Kenntnisse PINEAL nennen – das steht

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