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Zeit und Welt genug

Titel: Zeit und Welt genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
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Großstadt, und es gibt Nuancen und Vielschichtigkeiten, die man erspüren muss, bevor man eingreifen darf. Ich kenne die Stadt – ich war fünfzig Jahre lang immer wieder hier. Aber das liegt fünfzig Jahre zurück. Die Dinge ändern sich. Wir gehen in ein paar Bars in der Hafengegend. Ich stelle fest, ob noch jemand da ist, den ich kannte. Wir sehen uns um. Einverstanden?«
    Sie war offenkundig in ihrem Element, also gingen sie ohne lange Umstände weiter zum Hafen.
    Stadt der Schatten. Seitenstraßen führten zu Sackgassen. Verstohlene Geschäfte zwischen zurückweichenden Silhouetten schienen überall stattzufinden; manche sexuell, andere gewalttätig, alle beunruhigend, wie halbvergessene Alpträume. Dort überfielen Panther einen betrunkenen Seemann, der an eine Tür pisste – rissen ihm die Kehle auf und schleppten ihn, während er noch gurgelte, als Abendmahlzeit in den Dschungel. Hinter einer dunklen Wand wechselten zwei kleine Jungen sich ab, einer Schimäre mit dem Mund Lust zu verschaffen. In einem Hauseingang stöhnten gestaltlose Wesen: Leidenschaft oder Tod? Die bunten Lampions über der Straße schwankten in der Brise; die Schatten tanzten.
    Sie erreichten den Hafen ohne Zwischenfälle. Im Wasser schaukelten sanft zwei Dutzend Schiffe. Einige waren an einem der langen Holzstege befestigt, andere im sandigen Boden, weiter draußen in der Bucht, verankert. Alle waren Segelschiffe, auch wenn manche Hilfs-Dampfmaschinen besaßen. Ein Schiff wurde entladen, die Fracht wurde von der Gangway aus auf den Steg geworfen: Menschen.
    Beautys Nasenflügel blähten sich, und er galoppierte um ein Haar über die Promenade, um zu sehen, ob Rose zur Ware gehörte. Jasmine hielt ihn zurück.
    »Vergiß nicht, was ich gesagt habe«, zischte sie. »In einer Stadt ist das anders.«
    Er ließ sich zügeln. Langsam gingen die drei Kameraden am Hafen entlang, vorbei an einer Reihe übler Spelunken. Sie blickten in jede hinein, aber jedes Mal gingen sie weiter. An der fünften Kneipe blieb Jasmine stehen. Sie hatte keine Fenster. Das weiße, abblätternde Schild über der alten Eichentür trug die Aufschrift: CASA BLANCA. Sie lächelte und trat ein, gefolgt von ihren rätselnden Freunden.
    Es war ein großes Lokal. Zwanzig runde Tische mit Kerzen standen verstreut. Nebenzimmer und Nischen mit Perlenvorhängen gab es in Fülle. Die Rückwand war eine lange Bar. Neben der Bar führte eine Treppe zu einem geräumigen Dachboden hinauf, aber er war nur schwach beleuchtet, so dass man nicht viel sehen konnte.
    An der Bar bediente ein Zyklop. Groß, bösartig, argwöhnisch. Er warf einen Blick auf sie, schätzte sie kurz ab, dann ging er seiner Arbeit nach, ließ sie aber nie ganz aus dem Auge. Sie setzten sich an einen Ecktisch.
    Das Lokal war noch nicht überfüllt. Zwei Harpyien, Frauenköpfe, Geierkörper, standen an einem Ende der Bar. Um einen großen Tisch beim Eingang hatten sich fünf Wesen niedergelassen und spielten Karten – ein Groteskzwerg, ein Teufel, zwei Furien und ein Mensch. Sie wirkten alle nicht sonderlich glücklich. Drüben an der Treppe saß ein Troll und trank allein.
    Die drei Jäger nahmen alles in sich auf, Jasmine gelassen, Josh erregt, Beauty argwöhnisch. Eine Sphinx ging zum Eingang. Sie hatte Kopf und Brüste einer Frau, den Körper eines Hundes, den Schwanz eines Drachens, die Flügel eines Vogels, die Tatzen eines Löwen – und war betrunken. Sie schaute sich um und ging zum Ecktisch.
    »Überlasst mir das«, flüsterte Jasmine. »Das könnte Ärger geben.«
    Die Sphinx trat heran.
    »Meine Freunde«, sagte sie grinsend, »ich habe ein Rätsel für euch. Wenn ihr es löst, spendiere ich eine Runde. Wenn nicht, zahlt jeder mir ein Glas. Ja?«
    Beauty trommelte mit den Fingern.
    »Wir haben kein –«, begann Jasmine.
    Josh unterbrach sie.
    »Schon gut, ich mag Rätsel«, sagte er. Er sah die Sphinx an. »Nur zu.«
    Das Tier grinste wieder. Speichel lief an seinem Kinn herab.
    »Okay, Amigo. Warum ging das Huhn über die Straße?«
    Beauty trommelte mit den Fingern nervös auf die Tischplatte.
    Jasmine rollte die Augen; Josh wirkte verblüfft.
    »Was ist ein Huhn?« fragte er.
    Die Sphinx feixte, aber bevor sie etwas sagen konnte, erwiderte Jasmine: »Damit es drüben trinken konnte. Hier, Amigo« – sie zog einen Sou aus der Kappe und drückte ihn dem Wesen in die Hand -»nimm das und trink auf der anderen Seite vom Hafen.«
    Die Sphinx fauchte, lächelte und wankte zur Tür hinaus. Jasmine

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