Zeit zu hassen, Zeit zu lieben
gelernt. Der wollte meinen Vater ganz fest binden und hat etwas zerbrochen in seinem Sohn. Auch deine Kraft verlässt dich ganz allmählich; erst kannst du die schweren Balken nicht mehr allein schleppen und deine Hand ist nicht mehr völlig sicher, wenn du das Beil schwingst und ins Holz schlägst, und so geht’s weiter. Und wenn du nicht lernst, alles loszulassen und endlich dich selbst, dann wirst du wie die alte Baronin. Sie rafft und rafft und sucht in dem, was der Wind verweht, etwas, was immer bleibt. Und wird wie Galle so bitter und ist voll Gift wie eine Kreuzotter. Windhaschen, weißt du.«
»Aber schade ist’s doch um die alte Uhr, um die leuchtenden Bilder, die dein Vater gemalt hat.«
»Ja«, sagte Lukas voller Stolz. »Ich habe die Bilder aufgespürt in Amerika und hab sie mit rübergebracht über den großen Teich. Sie waren wie Briefe von meinem Vater. Die einzigen Briefe, die ich habe von ihm.« Er stand auf und stellte sich dicht vor ein Ölbild, auf dem ein Ahornbaum gemalt war, rot leuchtend das Laub wie ein glühender Brand. »Indianersommer 1866«, sagte er vor sich hin. Dann wandte er sich an Franziska und sagte lebhaft: »Dir gefallen die Bilder, nicht wahr?«
Sie nickte.
Er schmunzelte und fuhr fort: »Die von der Bank sind rumgegangen in dem Haus und in der Werkstatt. Alles haben sie in Listen eingetragen, was wir in unserem langen Leben aufgehäuft haben, die Schränke und Betten und Truhen und Werkzeuge und auch die Bilder. Vier Tage haben sie vom kleinen Zimmermannslot bis zum großen Kleiderschrank alles nach Nummer und Name aufgeschrieben. Damit nichts beiseitegeschafft werden kann, haben sie gesagt, die Narren. Wenn ich’s gewollt hätte, dann hätten die mich nicht daran hindern können, vieles von meinem Besitz vor ihnen zu verbergen. Und um das zu beweisen, habe ich unter ihren Augen das schönste Bild von meinem Vater verschwinden lassen. Ist ohne Nummer geblieben.«
Er ging zu dem Herbstbild an der Wand und drehte es um. Mit Heftzwecken hatte er ein anderes Gemälde auf die Rückseite geheftet. Es zeigte eine Gruppe von Negern bei der Baumwollernte. »Was sagst du dazu?«, fragte er stolz.
»Sieh an, der ehrliche Lukas Bienmann wird auf seine alten Tage noch zum Betrüger«, rief Paul.
»Ich schenke dir dieses Bild zur Hochzeit, Tochter«, sagte Lukas Bienmann. »Allen Kindern habe ich eins zur Hochzeit geschenkt.«
»Und wenn Johannes einmal heiratet?«, fragte Paul.
»Der Johannes bekommt die Taschenuhr. Sie ist ein altes Erbstück. Eigentlich steht sie dem Georg zu. Sie soll auf den ältesten Sohn weitergegeben werden. Aber dem Georg habe ich zur Hochzeit ein Bild geschenkt. Und was hat der Johannes? Nichts hat er. Und weil alles unter den Hammer kommt, wird er auch nichts weiter bekommen. Die kleine Taschenuhr, ja, die Uhr werde ich ihm geben.« Er rückte seinen Stuhl zurück und erhob sich. »Dann wollen wir mal, Tochter«, sagte er, holte seine Schuhe unter der Bank hervor und zog sie an.
»Wohin willst du gehen?«, fragte Paul.
»Na, Paul, bist du schon so lange weg, dass du nicht mehr weißt, dass ich die Braut durchs Dorf führen muss?«
»Wie bitte?« Franziska schaute ungläubig.
»Wir werden die Dorfstraße einmal hinauf- und dann hinabgehen. Bei den Verwandten und Freunden kehren wir kurz ein und sagen Guten Tag. Und auch beim Pfarrer. Zum Schluss geht es dann auf einen Sprung zum Gut.«
»Muss das sein?«, wehrte sich Franziska.
»Aber sicher!«, lachte Lukas Bienmann. »Sehen sollen sie, was der Paul sich im Westen für ein hübsches Fischchen geangelt hat.«
Warum nicht, dachte Franziska, sprang die Treppe hinauf, legte sich ihren Seidenschal um und setzte den roten Hut auf. Dann kramte sie im Koffer und steckte einige Papiere in die Handtasche.
»Aber Franziska«, sagte Lisa Bienmann. »Es ist doch gutes Wetter. Warum setzt du den Hut auf? Die Nachbarn werden vielleicht Anstoß nehmen.«
Franziska stutzte und fragte dann: »Gefällt er dir nicht?«
»Schon, schon«, sagte Lisa, »aber weißt du, bei uns tragen die Frauen schwarze Tücher, wenn’s kalt ist, und vielleicht, wenn eine ganz keck ist, kauft sie sich einen dunklen Hut. Aber einen roten?«
Franziska nahm den Hut vom Kopf, lachte, trat nahe an Lisa Bienmann heran, setzte ihr den Hut auf und zog sie vor den Spiegel. »Schau dich an, Mutter!«, sagte sie. »Das ist ein Hut, den alle Frauen tragen können.«
Lisa schaute in den Spiegel, rückte den Hut ein wenig aus der Stirn und
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