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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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schließlich; du kennst das ja, Paul. Bei der Schlüsselübergabe wurde bezahlt, genau, wie die Bienmanns es immer gemacht haben.
    Zunächst haben wir es gar nicht so stark bemerkt, aber jedes Mal haben wir für das Geld weniger Holz einkaufen können, als wir gebraucht hatten. Von den Löhnen ganz zu schweigen. Das Geld wurde immer wertloser.
    Schließlich habe ich’s ihm vorgerechnet, schwarz auf weiß. Aber er hat sich nicht davon abbringen lassen und gesagt, die Zeiten würden auch wieder anders. Ja, und dann haben wir für das Gut riesige Stall- und Vorratsgebäude bauen können und Vater hat viel Holz einkaufen müssen, sodass er einen großen Kredit aufnehmen musste, und zwar einen Kredit auf Dollarbasis. Das war im Dezember vorigen Jahres. Dreitausend Dollar waren nach Abschluss der Bauarbeiten zu zahlen. Der Dollar stand damals auf siebentausendfünfhundert Mark und Vater hat unterschrieben. Mit Dollars kenne er sich gut aus, hat er gesagt. Schließlich sei er schon in jungen Jahren in den USA gewesen. Ich habe ihn gewarnt und darauf hingewiesen, dass der Dollar von Tag zu Tag teurer werde. Er hat nicht auf mich hören wollen.
    Als Stall und Scheune im Juli fertig waren, da hat der Baron pünktlich am 25. den abgemachten Preis bezahlt. Mit einer Handkarre hat der Verwalter die Scheine herbeifahren lassen. Es waren mehr als 170 Millionen Inflationsmark. Alles genau so, wie es im Dezember 1922 ausgemacht worden war. Aber insgesamt war diese Summe nicht einmal dreihundert Dollar wert, denn die Bank forderte für einen Dollar inzwischen sechshunderttausend Mark. Vater konnte nicht einmal die Löhne voll auszahlen. Das Dollardarlehen hat ihm das Genick gebrochen.«
    »Und jetzt?«, fragte Paul.
    »In vier Wochen ist die Versteigerung«, sagte Bärbel und wischte sich mit dem Ärmel die Tränen aus den Augen. »So viele Jahre für die Katz.«
    Sie saßen eine Weile schweigend um den Tisch.
    »Und keiner kann helfen?«, fragte Paul.
    »Wer soll helfen?« Georg zuckte die Achseln. »Der alte Baron, der hätte vielleicht bezahlt, was die neuen Bauten wirklich wert sind. Aber der ist vor zwei Jahren gestorben. Der junge zahlte auf Heller und Pfennig, was vereinbart war. ›Handschlag ist Handschlag‹, hat er gesagt, ›und ein Handschlag ist so gut wie jeder Vertrag.‹«
    »Und dein Haus?« fragte Paul besorgt.
    Georg antwortete: »Manchmal ist’s eben doch gut, dass Vater mir noch nichts übergeben hatte. Ich war bis vorige Woche noch Polier in Bienmanns Zimmerei. Jetzt bin ich wie dreiundzwanzig andere Männer auch ein arbeitsloser Zimmermann. An unser Haus können sie nicht heran.«
    »Wenigstens etwas«, sagte Paul. »Wenigstens ein eigenes Dach über dem Kopf.«
    »Und wovon sollen wir unter dem eigenen Dach leben?«, fragte Bärbel. »Wir ziehen weg aus Liebenberg. Ich habe nach Hause geschrieben. Wir können vorläufig in Berlin bei meinen Eltern unterschlüpfen. In seinem Brief steht, ein guter Zimmerpolier findet in der Stadt immer eine Stelle.«
    Georg sagte: »Wir dachten erst, Johannes könne uns aus der Patsche helfen, aber der Hof, den er drüben in Leschinen übernommen hat, wirft gerade so viel ab, dass die alte Bauernfamilie und er davon leben können.«
    »Wie ist Johannes eigentlich an den Hof gekommen?«, wollte Paul wissen.
    »Bist schon verdammt lange weg«, sagte Georg. »Hast gar nicht mitbekommen, was hier alles los war. Unser Bruder Johannes hat eben den richtigen Paten. Als Onkel Peter seine beiden Söhne im Krieg verloren hatte, da hat er dem Johannes angeboten, auf den Hof zu ziehen. Er wolle aufs Altenteil. Den Hof in Leschinen wolle er dem Johannes überschreiben. Dreiundzwanzig Morgen gutes Ackerland und ein paar fette Weiden, dazu ein See von sieben Morgen Größe und vierzehn Morgen Wald, zwei Pferde, neun Kühe und die Gebäude eben. Onkel Peter ist vierundsiebzig Jahre alt. Der Hof war ziemlich heruntergekommen. Aber Johannes schuftet von morgens bis abends. Er hat nicht mal genug Zeit, sich eine Frau zu suchen.«
    »Mir wird es ganz schlecht«, sagte Paul, »wenn ich daran denke, dass das schöne Haus verloren ist. Über hundert Jahre sind die Bienmanns in Liebenberg und jetzt dieses Ende.«
    »Trübsinnig werden könnte man, Bruder«, sagte Georg und schüttete sich noch einen großen Schnaps ein.
    »Sauf nicht so viel, Georg«, mahnte Bärbel. »Das macht’s nur schlimmer.«
    »Ach lass mich, Frau! Da sollst du nicht saufen. Bist einundvierzig Jahre alt und kannst noch

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