Zeit zu hassen, Zeit zu lieben
ist’s ein Stich ins Herz«, sagte Franziska leise. »Sie nimmt es sehr ernst mit unserem evangelischen Glauben. Wir Reitzaks sind fest verwurzelt in der Kirche. Und stolz sind wir immer gewesen auf unsere Art, als Christen zu leben.«
Sie senkte den Kopf. »Ich will nicht, dass sie mit ansehen muss, wie ihre Tochter katholisch wird.«
»Ist doch ein und derselbe Jesus«, versuchte der Pfarrer unbeholfen dem Gespräch die Schärfe zu nehmen.
»Wem sagen Sie das, Herr Pfarrer«, erwiderte Franziska. »Sie sollten es in Ihrer Kirche verbreiten.« Und der Franziska fiel ein, dass genau mit diesen Worten ihr Gespräch mit Kaplan Klauskötter damals angefangen hatte.
Viele Stunden hatte sie mit ihm geredet, gestritten und überlegt, bis er ihr eines Tages niedergeschlagen bekannte: »Franziska, ich kann es Ihnen nicht beweisen, dass die eine Kirche besser ist, wahrer ist, näher an Christus ist als die andere. Ich glaube, da gibt es auch nichts zu beweisen.«
An diesem Abend hatte Franziska gesagt: »Ich will katholisch werden.«
Überrascht hatte Klauskötter sie angestarrt und gefragt: »Nur wegen Paul?«
Sie antwortete: »Auch wegen Paul.« Dann fügte sie hinzu: »Da ist nichts mehr, wogegen mein Verstand sich sträubt.«
»Der Verstand ist nicht der ganze Mensch«, sagte Klauskötter.
»Und die Messe«, versuchte sie zu erklären, »die Altäre, die Kerzen, der Weihrauch, irgendwie dringt mir das alles ins Herz.«
Er hatte nicht wie ein Sieger ausgesehen, schien eher verlegen, aber dann sagte er: »Ich habe in den Gesprächen mit Ihnen viel gelernt, Franziska. Früher habe ich es übersehen, dass Gott in seinem Worte in der Bibel mitten unter uns ist. Aber genau das hat Ihre Kirche nie vergessen.« Und beim Hinausgehen hatte er sie gemahnt: »Vergessen Sie niemals das Erbe, das Sie mitbringen.«
»Wir wollen jetzt gehen«, unterbrach Lukas ihre Gedanken.
»Ja«, sagte sie und erhob sich.
»Wir werden in den nächsten Tagen noch alles besprechen müssen«, sagte der Pfarrer. Es schimmerte ein Triumph in seinen Augen. Franziska sah es und es war ihr unangenehm. »Gut, dass Sie in die wahre Kirche einkehren, Kind.«
In ihr verhärtete sich etwas. Lukas Bienmann schien das zu spüren und sagte: »Mit der Wahrheit, Herr Pfarrer, da geht es seltsam zu. Du erhaschst immer nur einen Zipfel davon. Ist wie ein Sonnenstrahl, der von einem Spiegel zurückgeworfen wird. In die volle Sonne kannst du nicht schauen. Wirst blind davon.«
»Was sollen die Sprüche«, tadelte der Pfarrer ihn streng.
»Ich bin weit gereist, Herr Pfarrer. Und dabei habe ich gesehen, dass die Spiegel bei den Orthodoxen in Rußland und bei den Protestanten in Amerika nicht alle blind sind. Werfen auch Strahlen zurück zu den Menschen und es wird ein wenig heller davon in den Köpfen!«
»Gefährliche Lehren!« Der Pfarrer drohte mit dem Finger und es war nicht recht auszumachen, ob er es ernst meinte.
Lukas zog seine Taschenuhr aus der Weste und sagte: »Schon kurz vor Mittag, Herr Pfarrer. Ihre Haushälterin stellt um Punkt zwölf das Essen auf den Tisch. Wir müssen gehen.«
»Jaja«, sagte der Pfarrer und reichte ihm die Hand.
Sie schritten schweigend nebeneinanderher. Bevor sie das bienmannsche Haus betraten, murmelte Lukas: »Ein verdammt mutiges Weib bist du, Tochter. Hätt ich dich früher gekannt, ich hätte dich vielleicht mitgenommen nach Moskau und an den Mississippi.«
35
Eine Woche war seit dem Überfall auf Bilarski vergangen. Er war ins Krankenhaus eingeliefert worden. Es stand schlecht um ihn. Bruno fragte so häufig, ob es nichts Neues von Bilarski gebe, dass Ditz ihn eines Tages hänselte: »Sag mal, Padre, ist das ein Onkel von dir, der Bilarski?«
Der Junge antwortete nicht. Er verknüpfte immer stärker Bilarskis Leben mit dem Oberst. Wenn Bilarski durchkommt …, dachte er, und jedes Mal wurde er unsicherer, ob es richtig sei, sich an Deisius zu rächen. Mathes März, der sich oft im Krankenhaus nach Bilarski erkundigte, sagte: »Selbst in den Augenblicken, in denen Bilarski ganz klar bei Bewusstsein ist, schweigt er sich aus, wie es zu seinen Verletzungen gekommen ist.«
Bruno hatte niemand erzählt, was er im Pferdestall gesehen und gehört hatte. Selbst Alwin und Manfred verriet er nichts. Aber am Montagabend, als Mathes März, Karl und Resi bei den Reitzaks in der Küche saßen, hatte er sich ein Herz gefasst und vom Tod seines Bruders noch einmal ausführlich erzählt.
Frau Reitzak war mit einem Male
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