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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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klar, warum Bruno in manchen Nächten im Schlafe so laut aufschrie, dass Leo und Ditz sich beklagten. Sie sagten, das fahre ihnen durch Mark und Bein, und wenn sie den Bruno dann wach gerüttelt hätten, dann liege er schweißnass in seinem Bett.
    Resi und Mathes März hatten Dame gespielt, aber längst lagen die Spielsteine vergessen auf dem Tisch, als Bruno mit seinem Bericht fertig war. Keiner sagte etwas. Schließlich fragte Bruno: »Wenn ich nun wüsste, wo ich den Mann finden könnte, der auf meinen Bruder geschossen hat. Was meint ihr, was sollte ich dann tun?«
    »Ans Messer würde ich den Mörder liefern«, rief Mathes März. »So eine Tat, die darf nicht ungesühnt bleiben.«
    »Vielleicht war es doch Notwehr«, sagte Frau Reitzak.
    »Ich weiß nicht«, sagte Karl. »Ich war auch in Berlin 1919. Das war ein Bürgerkrieg damals. Viele sind umgekommen. Ich bin nicht sicher, dass du recht hast, Mathes. Mörder? Im Krieg haben wir Soldaten die Waffen gebraucht und auf Tauben haben wir nicht gezielt. Sind wir alle deshalb Mörder?«
    Frau Reitzak ordnete die schwarzen und die weißen Spielsteine und sagte: »Da bringt einer von der weißen Gruppe einen von der schwarzen Gruppe um. Diese sinnen auf Rache. Auge um Auge, sagen sie, Zahn um Zahn. Sie lauern den Weißen auf und erschießen einen von ihnen. Das wollen wir nicht ungestraft geschehen lassen, schwören sich diese.« Nun sprach Frau Reitzak nicht mehr, sondern schob einmal einen schwarzen und einmal einen weißen Stein von der Tischplatte in ihre Schürze, bis schließlich nur noch ein einziger weißer übrig blieb.
    »Wahnsinn«, sagte Resi. »Einmal muss Schluss sein damit.«
    »Das denke ich auch«, sagte Frau Reitzak.
    »Leicht gesagt. Von euch war keiner dabei«, flüsterte Bruno. »Leicht gesagt. Aber hier«, er schlug sich mit der Faust gegen die Brust, »hier drin, da brennt es wie ein heißer Stein und immer wieder schießt es mir durch den Kopf, dass ich nicht klein beigeben darf. Ob ich will oder nicht, wie Feuer brennt es hier innen in mir.«
    Der alte Reitzak sagte: »Junge, ich kann dir das nachfühlen. Bei uns daheim, da hat der Holzfäller Jakub Skoda einmal ganz absichtlich einen fallenden Stamm so gelenkt, dass er unter sich einen Burschen begraben hat. Marian Muttler hieß der. Der Jakub hatte sich genau wie der Marian in eine gewisse Hubertine Kallweit verliebt. Das Mädchen hatte sich wohl noch nicht so recht äußern mögen, ob sie den blonden Jakub oder den kupferhaarigen Marian lieber mochte. Da hat der Jakub ihr die Entscheidung leichter machen wollen. So munkelten wenigstens die aus der Holzfällerkolonne. Aber Jakubs Rechnung ging nicht auf. Mit einem Male weiß die Hubertine, dass sie nie einen anderen geliebt hat als den Marian. Sie erbittet sich von Marians Eltern eine Haarsträhne von dem Toten und damit geht sie in der Nacht, in der der Vollmond die erste Sichel verliert, über den Pfad durch die Sümpfe bis zu dem hohlen Weidenbaum, der da steht, so lange die Menschen denken können. Und dort wirft sie Haar um Haar in den Wind und ruft Wurskaito an und beschwört ihn und bläst ihm ihre Rachegedanken ein. Wurskaito ist der Herr über alles, was Hufe oder Klauen hat. Dann geht sie nach Hause und der Feuerbrand ist wie weggefegt aus ihrer Brust.«
    »Und Jakub?«, fragte Bruno.
    »Der Jakub ist verunglückt. Treibt die Pferde ein paar Monate später an einem schwülen Sommerabend in die Schwemme. Hat er schon hundertmal gemacht. Aber da fallen große Schnaken über die Gäule her. Die pressen die Ohren an die Schädel und zeigen das Weiße in ihren Augen. Jakub will sie halten, reißt an den Trensen, doch sie rennen ihn nieder. Wurskaito ist der Herr über alles, was Hufe und Klauen hat.«
    »Wir wohnen weit weg von Sümpfen und Wäldern«, wandte Frau Reitzak behutsam ein, rückte dicht neben ihren Mann und legte ihm den Arm um die Schultern.
    »Da kann einem ja ganz anders werden«, murmelte Resi.
    Bruno war ratloser als zuvor. Er lief am nächsten Morgen zu Steiners Werkstatt und versuchte, kein einziges Mal auf eine Pflasterfuge zwischen den Platten der Bürgersteige zu treten. Das gelang ihm, aber er hatte den Gedanken nicht zu Ende gedacht, der ihm aufgedämmert war. Sollte er den Rachegedanken aufgeben oder weiterverfolgen? Immerhin, er fasste den Entschluss, an diesem Dienstag zu Rechtsanwalt Dr. Hernieden zu gehen. Paul hatte gesagt, er sei gut bekannt mit ihm und er solle sich nur auf ihn und die gemeinsame

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