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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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gab zu: »Wirklich schön. Wer weiß, vierzig Jahre früher hätte ich ihn vielleicht getragen. In Allenstein oder wenn ich mit Lukas nach Königsberg gefahren bin. Jedenfalls dort, wo mich kaum einer kennt. Aber hier?«
    Lukas wartete ungeduldig bei der Tür und mahnte: »Mit oder ohne Hut, Tochter, wir müssen los.«
    »Mit Hut«, entschied Franziska und nahm ihre Tasche.
    Es waren viele Freunde und Bekannte, bei denen Lukas und Franziska einkehrten, und als sie schließlich auf dem Weg ins Pfarrhaus waren, hatte Lukas von den vielen »Einen – einzigen – wenigstens« ein gerötetes Gesicht. Franziska hatte den scharfen Selbstgebrannten oder auch den Bärenfang stets dankend abgelehnt.
    In jedem Haus hatte es ein paar neugierige Fragen gegeben. Der Austausch der Antworten zwischen den einzelnen Familien vollzog sich schnell und vollständig, sodass am Ende des Rundgangs jeder wusste, dass Franziska eine Schneiderin war, wie viele Geschwister sie hatte, dass sie für vier Jahre in Holland gewesen war und, und, und …
    Kurz vor dem Pfarrhaus kam ihnen auf der Dorfstraße ein zweispänniger Pferdekarren entgegen, hoch beladen mit Kartoffelsäcken.
    »Aha, Onkel Lukas, führst du deine neue Tochter durch die Verwandtschaft?«, rief ein junger Mann, der vorn auf den Säcken saß und seine Mütze weit in den Nacken geschoben hatte.
    »Aber sicher, Junge, muss sein. War immer so.« Lukas wandte sich an Franziska und sagte: »Das ist der Eberhard Warczak, der Sohn vom Anton Warczak, dem Bruder meiner Frau, von meinem Schwager der Sohn, weißt du? Er arbeitet auf dem Gut.«
    Franziska schwirrte schon der Kopf von Namen und Vettern und Kusinen, Tanten, Onkeln und Großonkeln. »Ich fürchte, ich werde das nie alles behalten«, rief sie.
    »Aber mich wirst du doch nicht vergessen können«, sagte Eberhard und hielt mit einem Ruck die Pferde an. Der Wagen kam plötzlich zum Stehen und ein schwerer Kartoffelsack rutschte aus der Ladung in den Sand der Straße.
    Eberhard sprang herab. »Ich hab es dem Verwalter gleich gesagt, dass der Wagen zu schwer beladen ist, aber ihm kann es ja nie genug sein.«
    Er stand vor dem Sack, blickte Franziska an und forderte sie auf: »Komm, Franziska, fass mit an und hilf mir. Mit einem Hauruck schaffen wir ihn gemeinsam wieder nach oben.«
    Franziska zögerte einen Augenblick, griff dann aber nach den beiden Sackzipfeln. Bis in Hüfthöhe schaffte sie es, den schweren Sack hochzuheben, aber dann glitten ihr die Zipfel aus den Händen und der Sack stürzte erneut hinab.
    Der Hut war ihr vom Kopf gerutscht und lag auf der Straße. Sie hob ihn auf und trug ihn in der Hand. »Zu schwer für mich, Eberhard«, sagte sie verlegen.
    »Hat sich der Paul eine Frau für Feiertage ausgesucht, Onkel?«, spottete Eberhard, stellte sich breitbeinig vor den Sack, riss ihn empor und stemmte ihn allein auf den Wagen.
    »Er hätte dir sagen sollen, dass man zuerst eine Kartoffel in jeden Sackzipfel schieben muss. Dann kann man fest zupacken und es geht ganz leicht«, sagte Lukas.
    »Der Sack war mir so und so zu schwer«, sagte Franziska.
    Sie klopften an die Tür des Pfarrhauses. Der Pfarrer öffnete selbst. Er war ein vierschrötiger, großer Mann mit einem fleischigen, blassen Gesicht und wasserhellen blauen Augen. Das übliche Vorstellen begann. Lukas trank seinen Schnaps und der Pfarrer drängte Franziska, einen Apfelsaft zu probieren, den er selbst frisch gepresst habe.
    »Ich habe einen Brief«, sagte Franziska nach einer Weile. »Der Kaplan aus unserer Stadt hat ihn mir für Sie mitgegeben.«
    Der Pfarrer wunderte sich, holte seine Brille vom Schreibtisch, riss ungeschickt den Umschlag auf und las. Dann und wann schaute er auf und blickte Franziska ruhig an.
    »Tja«, sagte er endlich, »ein interessanter Brief.« Er faltete das Blatt wieder zusammen und fragte Lukas: »Wusstest du, Lukas Bienmann, dass der Paul sich eine evangelische Braut ausgewählt hat?«
    »Evangelisch?«, fragte Lukas verblüfft. »Nein, das hat mir der Lorbass verschwiegen.«
    »Noch ist sie evangelisch«, fuhr der Pfarrer fort, »aber der Herr Kaplan schreibt, dass ich sie aufnehmen soll in unsere Kirche.«
    »Hier in Liebenberg?« Lukas rieb sich mit dem Handknöchel die Nase. »Aber warum denn hier und nicht in der Stadt?«
    Franziska schaute ihm gerade ins Gesicht und fragte: »Was würdest du sagen, wenn dein Sohn Paul hier in Liebenberg evangelisch würde?«
    »Na ja«, antwortete Lukas unbestimmt.
    »Für meine Mutter

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