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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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immer noch im Stallgang. Sie sahen verstört aus, unfähig, ein befreiendes Wort zu sprechen.
    Der Oberst sagte: »Keine weiteren Dummheiten, Männer! Unsere große Stunde kommt später!« Er drehte sich um und verließ den Stall.
    Jetzt erst sah Bruno den Hermann Cremmes, der blass und mit aufgerissenen Augen in der Tür stand.
    Der Stallbaron brach die Stille und sagte: »Wenn irgendetwas nachkommt und wir verhört werden: Niemals haben wir Waffen gesehen und schon gar nicht versteckt, klar?«
    Die Kutscher nickten. Schiller begann, die Stalllaternen zu löschen.
    Als Bruno ihn über den Hof zur Schmiede gehen hörte, schlich er leise die Stiegen hinab und schlüpfte hinaus auf die Straße. Kalt von Schweiß, klebte ihm das Hemd auf dem Rücken. Der Junge fühlte sich elend.
    Er hat einen Mord verhindert, ging es ihm immer wieder durch den Kopf. Er hat einen Mord verhindert. Bruno wurde von einem heftigen Schwindelgefühl gepackt. Er legte seine glühende Stirn gegen einen Platanenstamm.
    »Was ist das für ein Mensch?«, flüsterte er. »Was ist das nur für ein Mensch?«

34
    Eigentlich war das geräumige Haus viel zu groß für Lisa und Lukas Bienmann, aber die beiden mochten sich nicht kleiner setzen. Dieses einzige zweistöckige Holzhaus im Dorf war ein Meisterwerk der Zimmermannskunst. Herrliche Bretterintarsien zierten den Giebel. Lukas hatte es gut gepflegt. Niemand sah dem Gebäude an, dass es schon viele Jahrzehnte alt war.
    Franziska schlief in der Mädchenkammer, die die ganze Giebelbreite des Obergeschosses einnahm und zur Straße hin zwei große Fenster hatte.
    Von allen Bienmannssöhnen und -töchtern lebte nur noch Georg in Liebenberg. Georg war erst spät zum Heiraten gekommen. Mitten im Krieg hatte er, bereits weit über dreißig, seine Bärbel aus Berlin in das Bienmannhaus mitgebracht. Als sie 1920 ihr erstes Kind erwarteten, hatten sich die jungen Bienmanns ein eigenes Haus kaufen können.
    Für Paul wäre reichlich Platz in seinem alten Zimmer gewesen, aber Mutter Lisa hatte darauf bestanden, dass er mit seiner Braut vor der Hochzeit nicht unter einem Dach hausen dürfe.
    So war Paul bei Georg und Bärbel, hundertfünfzig Meter die Straße aufwärts, untergebracht worden. Er musste in dem viel kleineren Haus seines Bruders das Zimmer mit dem dreijährigen Hubert teilen.
    Gegen Abend ging Paul hinüber zu seinem Bruder. Bärbel und Georg saßen bei Petroleumlicht in der Küche. Georg goss zur Begrüßung einen doppelten Schnaps ein. Aber Bärbel und er schienen bedrückt, niedergeschlagen.
    »Was ist eigentlich los in Liebenberg?«, fragte Paul. »Ihr macht ein Gesicht wie die beiden alten Klepper, die Vater vor die Kutsche gespannt hatte. Was ist los? Was mit dem Fuhrbetrieb? Was mit der Zimmerei? Hat Vater dir immer noch nicht das Geschäft überschrieben?«
    »Da ist nichts mehr zu überschreiben«, antwortete Bärbel an Georgs Stelle.
    »Sei still, Frau«, brummte Georg. »Vater soll’s ihm selber sagen.«
    Doch Bärbel fuhr bitter fort: »Der große Lukas Bienmann ist bankrott. Zugrundegewirtschaftet hat er das ganze Geschäft, der kluge Herr Schwiegervater.«
    Georg sagte: »Er konnte nichts dazu.«
    »Verteidige du ihn auch noch!«, ereiferte sich Bärbel. »Hundertmal hast du ihm gesagt, dass eine neue Zeit gekommen ist, aber er hat ja nicht auf seinen Sohn hören wollen, hat seinen Dickkopf durchsetzen müssen.«
    »Die Zeiten sind eben schlecht«, sagte Georg.
    Als sie wieder ansetzen wollte, kippte Georg hastig seinen Schnaps und fuhr sie barsch an: »Hör auf zu jammern, Frau! Wir haben auch bessere Zeiten erlebt. Es lief ja nach dem Krieg zuerst ganz gut an. Die Männer kamen nach und nach aus dem Feld und aus der Gefangenschaft wieder ins Dorf zurück. Vater hatte Aufträge genug und konnte alle einstellen, die bei ihm arbeiten wollten, die Zimmerleute alle und auch die Waldarbeiter. Sein Bargeld hatte er als Kriegsanleihen dahingegeben und fast alle Pferde waren schon in den ersten Kriegsjahren beschlagnahmt worden. Er hängte das Fuhrgeschäft an den Nagel und wollte nur noch die Zimmerei weiterführen. Für neue Pferde war ja auch kein Bargeld da. Aber Balken und Bretter hatte er gelagert. Und dann ging es, wie es immer ging. Er hat mit mir zusammen die Häuser entworfen und einen festen Preis genannt und wenn er mit dem Bauherrn einig wurde, dann ging es los. Das Anreißen der Balken mit der eingeschwärzten Schnur, das Sägen, Bohren, Einpassen, das Richten des Hauses

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