Zeit zu hassen, Zeit zu lieben
nicht einmal mehr unsere Männer herumkriegen würden?« Sie ging ein paar Schritte im Zimmer auf und ab. »Wir werden das Problem lösen, Franziska. Ich verspreche es Ihnen.« Frau Baron fasste Franziskas Hand und zog sie hinter sich her durch die Eingangshalle.
Vor einer dunkelbraunen Holztür blieb sie stehen, blähte ihre Nasenflügel und schnüffelte. »Der Herr des Hauses ist anwesend«, sagte sie. »Der Zigarrengestank ist ein sicheres Zeichen.«
Sie klopfte kurz an die Tür und ging vor Franziska in den Raum. Die Wände waren bis zur Decke mit Bücherschränken zugestellt. Vor dem großen Bleiglasfenster zum Garten hin saßen in Ledersesseln zwei Männer in dicke Qualmwolken eingehüllt.
»Haben die Herren ein paar Minuten Zeit für zwei Frauen in Not?«, fragte Frau Baron.
»Für dich immer, Liebling«, antwortete Herr Baron. Er hievte seinen schweren Körper aus dem Sessel empor.
»Emil Baron«, sagte er.
»Kennen Sie meinen Herrn Vetter, Franziska?«, fragte Frau Baron. Sie zeigte auf den anderen Mann, der keine Mühe hatte, aus dem tiefen Sessel aufzuspringen. »Das ist Herr Deisius.«
Nach dieser kurzen Vorstellung redete Frau Baron auf ihren Mann ein, klagte, dass sie keine Schneiderin brauchen könne, die den Kopf voller Sorgen habe, dass sie aber auf keinen Fall auf Franziska verzichten wolle, kurzum, dass die Karnevalsbälle ein völliges Desaster zu werden drohten.
»Hetty, mach’s kurz«, seufzte Herr Baron auf und ließ sich wieder in den Sessel sinken. »Sag, was ich für dich tun kann, damit du deine Sorgen loswirst.«
»Meine Sorgen?«, rief Hetty Baron. »Ich verspreche dir, wenn du Nein sagst, werden es deine Sorgen sein.«
»Also, was ist?«, drängte er.
»Ich will Franziska ein Hochzeitsgeschenk machen«, sagte Frau Baron.
»Aber du hast doch ein eigenes Konto. Wo liegt denn das Problem?«
»Ich brauche für Franziskas Verlobten eine Stelle als Maschinenschlosser.«
Die beiden Männer lachten laut heraus. »Hetty, Hetty, du hast vielleicht Einfälle!«
Frau Baron wurde ernst. »Er heißt Paul Bienmann, ist vierundzwanzig Jahre alt und arbeitslos. Er hat gute Zeugnisse, aber er findet keine Stelle. Solange er keine Arbeit hat, will er nicht heiraten. Ich möchte ihm eine Stelle besorgen, basta.«
»Er hat in Ortelsburg gelernt und auch bei Borsig in Berlin gearbeitet«, ergänzte Franziska. »Er ist ein zuverlässiger Mann.«
»Baron als Heiratsvermittler«, brummte Herr Baron. »Was meinst du, Max?«
»Wir könnten im Maschinenhaus einen neuen Mann brauchen. Albert Lockes geht in ein paar Wochen in Rente. Er könnte einen neuen Maschinisten einarbeiten«, sagte Herr Deisius.
»Aber wo steht Ihr Verlobter politisch?«, fragte Herr Baron.
Als Franziska, verdutzt über diese Frage, nicht gleich antwortete, sagte er: »Wir können keine Roten gebrauchen. Unser Betrieb muss laufen. Wenn der Bierhahn trocken wird, dann gibt’s nämlich wirklich eine Revolution in Deutschland.« Er lachte.
»Paul ist in keiner Partei«, sagte Franziska, »aber er war Frontkämpfer.«
Sie blickte auf Deisius.
»Evangelisch?«, fragte Herr Baron.
»Nein. Wir heiraten katholisch.«
»Ist das wirklich so wichtig, Onkel Emil?«, fragte Deisius. »Das neue Deutschland wird nicht auf Religionen aufgebaut.«
»Hört auf mit eurer Politik«, fuhr Frau Baron dazwischen. Sie fasste sich mit beiden Händen an den Kopf. »Jedes Mal, wenn ihr mit eurer Politik anfangt, bekomme ich Kopfschmerzen.«
»Schon gut, schon gut, Liebling«, sagte Herr Baron eilfertig. »Du sollst dein Geschenk für die Hochzeit haben. Was könnte ich dir abschlagen?« Er drehte den Kopf zu Franziska hin, blickte sie an, abschätzend, zu lange, fand Franziska, und sagte dann: »Er soll sich mit dem Personalbüro Anfang der Woche in Verbindung setzen, der … ach, wie hieß er noch?«
»Paul Bienmann«, sagte Franziska.
»Richtig. Max, sag du dem Braumeister Bescheid.«
Die Frauen verließen die Bibliothek. Franziska wollte sich bei Frau Baron bedanken, aber die wehrte ab und sagte: »Alle Frauen haben einen Hang zur Kuppelei, Franziska. Und ein Hochzeitsgeschenk, an dem die Barons schließlich verdienen werden, habe ich noch nie zuvor gemacht.«
40
Franziska ging nicht sofort in die Werkstatt, als sie von den Barons kam. Paul sollte es als Erster von ihr erfahren, dass eine Arbeitsstätte gefunden war. Aber bei den Reitzaks saß nur Ditz am Küchentisch und löffelte seine Suppe.
»Wo steckt Paul?«, fragte
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