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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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Franziska.
    »Keine Ahnung«, antwortete Ditz mürrisch. »Kein Mensch ist zu Hause. Ich komme von der Hütte und muss mir noch selbst das Essen warm machen. Vater hat Mittagsschicht und Mama ist zu irgendeinem Frauenkreis. Sie rennt ja neuerdings alle naselang ins Gemeindehaus.«
    »Ich gehe zur Werkstatt«, sagte Franziska. Es stimmt, dachte sie. Mama nimmt sich Zeit und geht jeden Sonntag in den Gottesdienst und arbeitet oft mit in der Frauenhilfe. Eigentlich tut sie das alles erst, seit sie weiß, dass ich katholisch geworden bin. Als ob sie für mich mitbeten will.
    In der Werkstatt saß Bruno. Ob er ein Auge auf den Lehrling Eva geworfen hat?, dachte Franziska. Aber Eva schien nur auf Franziska gewartet zu haben. Sie fragte gleich: »Kann ich jetzt auch Feierabend machen, Fräulein Reitzak? Resi Schneider und Katharina sind schon gegangen.«
    »Hast du eine Verabredung?«
    »Ja«, gab sie zu.
    »Mit Leo«, brummelte Bruno sich leise in den Bart. »Katharina hat er abgehakt, jetzt ist Eva dran.«
    »Von mir aus«, willigte Franziska ein.
    Das Lehrmädchen zog sich den Mantel über, sagte: »Bis morgen«, und ging hinaus.
    »Ich habe auf dich gewartet, Franziska«, sagte Bruno. »Ich brauche deinen Rat. Du hast damals durchgesetzt, dass ich bei euch aufgenommen wurde. Ich muss dich etwas fragen.«
    »Mach dir keine überflüssigen Gedanken, Bruno. Wenn Paul und ich wirklich einmal heiraten, dann werden wir dich nicht abschieben. Schließlich ist Paul dein Vormund.«
    Bruno musste lachen. »Zwei Zimmer konntet ihr bei den Beilens mieten. Die Küche im Erdgeschoss und das Schlafzimmer unter dem Dach. Wo sollte ich da wohl bleiben?«
    »Schlafen kannst du auch weiterhin in deiner Kammer. Aber unsere Tür steht dir jederzeit offen.«
    »Ich bleibe nicht in der Blütentalstraße«, sagte Bruno. »Nach Ostern gehe ich nach Steyl zur Schule. Kaplan Klauskötter hat mir heute Morgen gesagt, dass da ein Platz für mich frei wird.«
    »Ich dachte es mir fast«, sagte Franziska. »Ich freue mich für dich.«
    »Ich fühle mich wohl bei euch«, versuchte Bruno zu erklären. »Auch die Arbeit bei Steiner, das alles gefällt mir.«
    »Und?«, fragte sie.
    »Es bleibt eine Unruhe. Es gibt so vieles, das ich nicht weiß.«
    »Du hast doch Bücher in deiner Kammer. Geben dir die keine Antworten?«
    »Antworten vielleicht. Aber Antworten suchst du nur, wenn vorher die Fragen da sind.«
    »Was meinst du?«
    »Nun, du fragst erst gar nicht nach einem Gedicht von Hölderlin und bekommst deshalb auch keines zu hören.«
    »Hölderlin?« Franziska dachte angestrengt nach. »Ich habe in der Schule Gedichte gelernt von Schiller und Goethe und auch noch eines, das ›Nis Randers‹ hieß und so anfing: ›Krachen und Heulen und berstende Nacht …‹ Eine Gänsehaut lief dir dabei über den Rücken, Bruno. Aber Hölderlin?«
    »Ich habe mir ein Gedicht bei Alwin abgeschrieben. Willst du’s hören?«, fragte Bruno.
    »Warum nicht?«
    Bruno begann, leise und eindringlich zu sprechen:
    »Sonnenuntergang
Wo bist du? trunken dämmert die Seele mir
Von aller deiner Wonne, denn eben ist’s,
Dass ich gelauscht, wie goldener Töne
Voll, der entzückende Sonnenjüngling
Ein Abendlied auf himmlischer Leier spielt;
Es tönten rings die Wälder und Hügel nach.
Doch fern ist er zu frommen Völkern,
Die ihn noch ehren, hinweggegangen.«
    Eine Weile blieb es still.
    »So ein Gedicht«, sagte Franziska, »das macht einen ja richtig schwindelig.«
    Bruno lachte auf. »Aber Hölderlin hin, Hölderlin her«, der Junge wurde ernst und wechselte das Thema. »Ich kenne jetzt den ganz genau, der auf meinen Bruder geschossen hat. Ich weiß, wie er heißt und wo er wohnt in dieser Stadt.«
    »Bist du sicher?«
    »So weit ja. Aber ich hatte mir den Mann anders vorgestellt. Der, den ich gefunden habe, der hat eine Tochter, die ist sehr stolz auf ihren Vater. Für die tut er alles. Er selbst lebt einfach, obwohl er’s nicht nötig hätte. In einem harten Feldbett schläft er und vor allem, ich habe gesehen, wie er den Bilarski einer Meute wilder Hunde aus den Zähnen gerissen hat.«
    »Was hast du gesehen?«
    »Franziska, ich hab’s noch keinem verraten und ich bitte dich, sag niemand etwas. Versprich mir das.«
    »Versprochen«, sagte Franziska.
    »Der Bilarski ist in Barons Pferdestall vom Stallbaron und seinen Männern zusammengeschlagen worden. Sie hätten ihn kaltgemacht, wenn nicht im letzten Augenblick der Oberst hereingekommen wäre. Vor ihm haben die

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