Zeit zu hassen, Zeit zu lieben
sich freuen.«
Bruno atmete tief durch. Er versuchte, das Hämmern in seiner Brust zu unterdrücken. »Welche Ina?«, fragte er schließlich.
»Die Tochter von Deisius. Sie ist ungefähr in deinem Alter. Für die hat der Deisius die Möbel bestellt. Er kann es sich wohl leisten. Er arbeitet für Baron im Süden und soll viel Erfolg haben.«
Steiner trat an Brunos Hobelbank. Er nahm das Brett in die Hand, an dem Bruno arbeitete, und runzelte die Stirn. »Mist, mein Lieber. Zum Glück ist es nur Kiefernholz. Nimm ein neues Brett und mach es besser!« Er wandte sich zur Tür. Bevor er die Werkstatt verließ, sagte er: »Heute nach der Mittagspause schaffen wir die Möbel in die Mommsenstraße.«
Die Arbeit ging Bruno nicht gut von der Hand. Immer wieder wälzte er finstere Pläne, die alle um den Oberst kreisten, wie er den Tod seines Bruders rächen könnte. Aber dann kam ihm Bilarski in den Sinn, dem der Oberst das Leben gerettet hatte. Er war inzwischen aus dem Krankenhaus entlassen worden, aber eine neue Arbeitsstelle hatte er nirgendwo gefunden.
Als Steiner und Bruno kurz nach Mittag die Möbel sorgsam in Wolldecken gehüllt auf die Handkarre geladen hatten, trug der Junge weder eine Pistole noch eine Handgranate mit sich. Viel hätte er ohnehin nicht damit anfangen können, denn der Gärtner, der ihnen das Mädchenzimmer im Dachgeschoss zeigte, erzählte, dass der Oberst nach München gefahren sei.
Sie begannen, die Möbel hinaufzutragen.
Die Treppe war mit einem braunen Teppich belegt, der die Trittgeräusche schluckte.
Sie stellten zunächst alle Teile mitten in das Dachzimmer. Das war ein heller, freundlicher Raum. Durch drei Dachgaubenfenster fiel das Licht herein.
»Ina hat mir erklärt, wo genau die Möbel stehen sollen«, sagte der Gärtner. »Außerdem muss sie auch jeden Augenblick zu Hause sein. Heute hat sie bis halb drei Schule.«
»Hallo!«, drang eine Frauenstimme von unten herauf. »Hallo! Ist ein Herr Steiner da oben?«
»Ja«, antwortete Steiner. »Was gibt’s?«
»Telefon für Sie.«
»Die Gnädige«, erklärte der Gärtner.
Steiner lief schnell die Treppe hinab. Wenig später kehrte er zurück und sagte: »Ich muss weg. Sie haben ’nen Toten aus dem Rhein gezogen. Der muss eingesargt werden.«
»Soll ich mitkommen?«, fragte Bruno.
»Nein, Padre, du baust den Schrank zusammen. Ich nehme den Sargträger Stomer mit. Der verdient sich gern ein paar Groschen. Und eine Leiche aus dem Wasser, Junge, das ist sowieso nichts für dich.«
»Für ihn ist es auch nichts«, sagte Bruno, als Steiner gegangen war. »Er trinkt oft wochenlang kein Glas Alkohol. Aber wenn er ’nen Toten aus dem Wasser hat, besäuft er sich anschließend.«
»Ich könnte das nicht«, sagte der Gärtner und schüttelte sich. »Überhaupt: Tote! Mir graust’s, wenn ich nur daran denke.«
»Unser armer Oberst«, fuhr er fort. »Nach München ist er. Die Reise hat auch was mit Toten zu tun. Sie haben es sicher gehört. Am 8. November wollte seine Partei in München die Macht ergreifen und den Staat wieder in Ordnung bringen.«
»Meinen Sie die Braunen mit dem Hitler an der Spitze?«
»Ja, die NSDAP. Der Oberst sagt, das wäre die einzige Hoffnung für Deutschland. Aber es ist schiefgegangen. Die Polizei hat am folgenden Tag die Männer vor der Feldherrenhalle in München beschossen und den Marsch gestoppt. Stellen Sie sich vor, der General Ludendorff ist vornwegmarschiert. Und trotzdem haben sie geschossen. 1923 am 9. November! Keinen Respekt mehr haben die Leute. Es hat Tote gegeben und den Führer Adolf Hitler, den haben sie ins Gefängnis geworfen.«
»Ja«, sagte Bruno. »So ist es, wenn einer putscht. Der Hermann Cremmes hat es mir erzählt. Der hat sogar drei Tage lang eine schwarze Trauerarmbinde getragen.«
»Soll mal vorsichtig sein, Ihr Cremmes. Im Augenblick heißt es auf Tauchstation gehen. Der Oberst jedenfalls will sich in München nach den Parteigenossen umsehen.« Der Gärtner setzte sich und rauchte eine Zigarette. »Junge«, schwätzte er weiter, »die Gnädige hat vielleicht ein Theater gemacht, als sie hörte, was der Oberst vorhat. ›Deisius‹, hat sie gesagt. ›Deisius, hast du denn immer noch nicht genug von diesem Verführer?‹ Stellen Sie sich vor, Junge, sie hat den Hitler von Anfang an Verführer genannt. Der Oberst hat sich nicht weiter darum gekümmert. Als ich ihn mit unserem Wagen zum Bahnhof brachte, da hat er zu mir gesagt: ›Felix‹, hat er gesagt, ›die Barons denken
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