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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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zuversichtlich. »Der Paul ist ein besonnener Mann. Der hält sich fern von dem wilden Volk.«
    Endlich, am Montag Morgen, am 10. März, kam Paul zurück. Übernächtigt, verdreckt, hungrig. »Sie sagen, über tausend Tote hat es gegeben«, erzählte er. »Ich hab schlimme Dinge gesehen.« Er setzte sich an den Küchentisch, stützte den Kopf in die Hände und stierte vor sich hin. Bruno wollte ihn etwas fragen, aber Frau Podolski winkte ihm zu, er solle schweigen. Sie kramte in ihrem Küchenschrank. In einer Literflasche fand sich ein Rest Kornschnaps. Sie schüttete ein Gläschen randvoll und stellte es vor Paul auf die Tischplatte. Der trank das Glas in einem Zug aus und sagte sehr bestimmt: »Ich hab die Nase voll. Ich gehe weg aus diesem Hexenkessel Berlin. Karl hat mir eine Nachricht zukommen lassen. Ich mache es wie er. Ich ziehe ihm ins Ruhrgebiet nach.«
    »Was wird aus dem Jungen?«, fragte Frau Podolski.
    »Was soll schon werden?« Paul schaute Bruno ins Gesicht, fasste ihn bei der Schulter und sagte zu Frau Podolski: »Zuerst gehen wir nach Gelsenkirchen. Dort gibt es Verwandte von Bruno. Wenn Bruno dort nicht bleiben kann, geht er mit mir.«
    »Versprochen?«, fragte Frau Podolski.
    »Versprochen«, bestätigte Paul. Dann aß er, was Frau Podolski ihm vorsetzte, und ging in die Kammer. »Ich will jetzt nichts als schlafen, schlafen.« Er gähnte. Frau Podolski mahnte ihn diesmal nicht, sich erst gründlich zu waschen.
    Bruno saß noch lange bei Frau Podolski. Sie erzählte von dem alten Berlin, als ihr Mann noch lebte und ein gutes Geld nach Hause brachte. Wie friedlich es gewesen sei, die fröhlichen Ausflüge an den Wannsee und nach Pankow; im Tiergarten hätten sie sogar einmal den Kaiser gesehen und noch tagelang habe sie mit ihrem Mann darüber gesprochen.
    »Aber wählen durfte beim Kaiser keine Frau«, neckte Bruno sie.
    »Da hast du recht, Junge. Das Wahlrecht für Frauen und den Achtstundentag für Arbeiter, das haben wir uns in dieser Zeit erkämpft. Hoffentlich geht nicht alles wieder in die Binsen.« Sie schaute Bruno aufmerksam an. »Ich möchte dir zum Abschied etwas schenken, Bruno Kurpek«, sagte sie feierlich. »Sag, was du dir wünschst.«
    Bruno wurde verlegen, wusste nicht, was er sich wünschen sollte, dachte einen Augenblick an die Uhr, die der Leutnant aus Flandern Frau Podolski geschickt hatte, aber er verwarf den Gedanken sofort wieder.
    Während der Zeit des Überlegens hatte er fortwährend auf den Rosenkranz in Frau Podolskis Händen geschaut.
    »Na?«, ermunterte sie ihn. »Sag’s nur! Brauchst dich nicht zu schämen.«
    Bruno schüttelte den Kopf. Da warf sie dem Jungen den Rosenkranz zu. Der schnappte ihn in einer Reflexbewegung auf. »Nimm ihn«, sagte sie. »Deine Augen haben deutlich genug gesprochen. Aber halte ihn in Ehren, Junge. Ich habe ihn vor vielen Jahren von meiner Mutter zur Firmung bekommen. Das war mein einziges Geschenk an diesem Tag.«
    Bruno wagte nicht zu sagen, dass ihm an dem Rosenkranz gar nichts lag. Er steckte ihn in die Tasche und sagte: »Danke, Frau Podolski.«
    Es entstand eine kleine Pause. »Ich gehe auch schlafen«, sagte Bruno schließlich.
    »Ja, Junge, mach das. Es ist spät genug.«
    Paul schnarchte. Bruno stellte sich an das Fenster. Unten versank der enge Hinterhof in Finsternis. Der silbrige Mondschein erreichte gerade noch das Kammerfenster. Bruno zog seinen ledernen Brustbeutel unter dem Pullover hervor und steckte das Geschenk dort hinein. Er nahm das Zeitungsfoto aus dem Brustbeutel und strich es auf dem Fensterbrett glatt. Das Bild war im Halbdunkel nur in Umrissen zu erkennen, Bruno brauchte es nicht genau anzusehen. Jede Einzelheit stand ihm klar vor Augen. Er klappte sein Taschenmesser auf und stieß die Klinge in das Foto. »Und wenn ich auch weggehe aus Berlin, ich finde dich doch, du Mörder! Ich finde dich bestimmt!«
    Der Junge stand noch lange und starrte in die Nacht. Als er zu frösteln begann, zog er sich aus und kroch ins Bett.

6
    Auf Frau Podolskis Fensterbrett stand eine einzige Topfblume. Es war eine alte, verholzte Geranie. Im Sommer stellte Frau Podolski den Topf außen auf die Fensterbank, im Spätherbst wurde er ins Zimmer geholt. Wenige Blätter hatte die Blume über den Winter hinweggerettet und die waren von einer kranken, gelblich grünen Farbe. Aber seit etwa einer Woche hatte sich ein Wunder aufgetan. Ein einziger kräftiger Stängel voller Knospen war ausgetrieben und eine kleine Blüte nach der anderen

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