Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
Vom Netzwerk:
hinunterstieg, rief er laut: »Und es war doch ein Mord. Und es war doch ein Mord!«

5
    »Sie haben das ganze Viertel umstellt«, keuchte Robert. In großen Sprüngen war er die Treppe hinaufgehetzt und hatte die Küchentür aufgerissen.
    Bruno saß dicht neben Frau Podolski, die einen Rosenkranz fest umkrampft hielt. Auf dem Tisch stand eine Karbidlampe, die Paul aus einer Geschosshülse gefertigt hatte und die ein trübes Licht verbreitete. Der Karbidgestank war bis auf den Flur gedrungen.
    »Wo hast du Eduard gelassen?«, fragte Frau Podolski.
    Robert antwortete: »Hoffentlich haben sie ihn nicht umgebracht. Erst haben die Bestien vom Freikorps Lüttwitz unsere Leute gefangen genommen, dann haben sie jeden Zweiten an die Wand gestellt und erschossen.«
    »Ich habe es euch ja vorausgesagt, Robert, das nimmt ein schlimmes Ende mit euch.«
    Robert erwiderte heftig: »Was heißt hier schlimmes Ende? Kann das Ende noch schlimmer sein? Keine Arbeit, nichts zu fressen, eine Regierung, die das Volk nicht will …«
    »Die du nicht willst«, berichtigte ihn Frau Podolski.
    Robert goss sich eine Tasse Kaffee ein. Er war so erregt, dass er etwas verschüttete. Hastig trank er einen Schluck. »Vom Alexanderplatz haben sie uns verjagt. Geschütze wurden eingesetzt und Maschinengewehre. Sogar Granatwerfer besitzen sie. Schließlich haben viele unserer Leute die Arme hochgehalten und weiße Tücher geschwenkt. Und dann war da ein Oberleutnant, ich glaube vom Freikorps Lützow. Einen Arm hatte er nur. Der hat die Gefangenen kaltblütig umgebracht. So toll hat er’s getrieben, dass sich seine eigenen Leute gegen ihn gestellt haben.«
    »Schlimm«, sagte Frau Podolski. »Aber der ›Vorwärts‹ schreibt, auch Leute vom Spartakus hätten sechzig Gefangene, meist Polizisten, niedergemacht.«
    »Wir machen so etwas nicht«, wehrte sich Robert. »Lauter Lügen sind das.«
    »Kannst du für all eure Leute wirklich die Hand ins Feuer legen?«, fragte Frau Podolski spöttisch.
    Robert senkte den Kopf. »Überall geht es heiß her«, sagte er.
    »Ich verstehe das alles nicht«, sagte Frau Podolski. »Jetzt schließen die eigenen Soldaten unser Lichtenberg ein. Vor fast fünf Monaten fielen an der Front die letzten Schüsse, aber hier, in der Heimat, da geht es drunter und drüber. Wo soll das alles nur enden?«
    Von der Straße her tönte Lärm bis in das Hinterhaus. Robert sagte: »Die Freischärler durchsuchen jedes Haus. Wenn sie Waffen finden, ballern sie gleich los. Sie haben Befehl, jeden zu erschießen, der Waffen versteckt hält.«
    Erschreckt sprang Bruno auf. »Die Karabiner!«, rief er. »Die Karabiner im Kleiderschrank!«
    Frau Podolskis Miene wurde starr. »Verdammt und zugenäht! Gewehre in meinem Kleiderschrank?«, fragte sie scharf.
    »Ja, Frau Podolski. Und Munition. Die liegt unter den Hemden im Wäschefach«, sagte Bruno.
    »Wegschaffen, sage ich! Sofort wegschaffen!« Frau Podolski war ganz blass geworden.
    »Ja, Frau Podolski«, antwortete Robert, lief in die Kammer und kramte im Kleiderschrank. Frau Podolski stand in der Küchentür und leuchtete mit dem Karbidlicht in den dunklen Flur. Robert hatte die Karabiner über die Schulter gehängt und zeigte die Munitionsschachteln vor. »Nun beruhigt?«, fragte er.
    »Jetzt aber ganz schnell weg damit!«, sagte Frau Podolski, schüttelte empört den Kopf und schimpfte: »Das hat mir gerade noch gefehlt! Karabiner in meinem Kleiderschrank!«
    Kurz darauf fielen Schüsse. Soldatenstiefel polterten über die Treppe. Männer in Uniformen rissen die Türen auf und durchwühlten in den Wohnungen Betten und Schränke, Kisten und Winkel.
    Bei Frau Podolski fanden sie nichts, aber wenige Häuser weiter zerrten sie zwei Männer auf die Straße, stellten sie an die Wand und schossen sie nieder.
    Frau Podolski flüsterte: »Ein blutiger März. Wie soll das nur weitergehen?«
    Bruno hatte sich in den letzten Tagen nicht aus dem Haus getraut. Paul war am 3. März kurz nach Hause gekommen und hatte berichtet, dass der Generalstreik ausgerufen sei.
    Dann war Paul die ganze Woche fortgeblieben. Bruno malte sich aus, was alles geschehen sein konnte. In ganz Berlin rumorte es. Vielerorts wurde gekämpft. Hatte sich Paul in die Straßenschlachten hineinziehen lassen? War er von einer verirrten Kugel getroffen worden? Brunos Angst wuchs mit jedem Tag. Frau Podolski hatte den Jungen zu beruhigen versucht und gesagt: »Bei Borsig ist er sicher.« Sie strich dem Jungen über den Kopf und schien

Weitere Kostenlose Bücher