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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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können. Er wiegte bedenklich den Kopf.
    »Ich dachte«, sagte Paul, »weil der Bruno endlich geregelt zur Schule muss und weil es doch ab Ostern sein letztes Schuljahr ist und weil der Bruno doch verwandt ist mit euch und niemand mehr hat außer den Warczaks. Und weil ein Mensch doch irgendwo zu Hause sein muss.«
    Aber alle die »Weils« schienen Hubert nicht zu überzeugen.
    Paul fuhr unsicher fort. »Und ich dachte, ihr habt ja nur einen Sohn, den Siegfried.«
    »Wenn man vom Teufel spricht, dann kommt er schon herein«, rief Hubert, als er hörte, dass die Haustür ging. Die Küchentür wurde aufgerissen und Siegfried stürzte herein. Er schien die Gäste gar nicht zu bemerken. »Wo ist Mutter?«
    »Wie siehst du denn aus?«, rief Hubert. »Haben sie dir schon wieder aufgelauert?«
    Siegfrieds Gesicht war schmutzverschmiert, von seiner blauen Matrosenjacke war die Krawatte abgerissen, er wischte sich Blut von der Nase und sagte: »Sie haben wieder gerufen:
    ›Katholische Ratte, mit Pech beschmiert,
in Teig gerührt und zum Teufel geführt.‹«
    Was er dem Vater nicht berichtete, das war, dass die Jungen ihm auch noch zugeschrien hatten: »Dein Vater ist ein Streikbrecher! Ein Arbeiterverräter ist dein Vater!«
    »Hast du’s ihnen denn heimgezahlt?«, fragte Hubert.
    Der Junge zeigte seine Fäuste. Die Knöchel waren geschwollen und gerötet. »Und ich habe ganz laut geschrien:
    ›Evangelische Laus, kein Kreuz im Haus!
Ihr seid eine Seuch’, zur Hölle mit euch!‹«
    Siegfrieds Blondschopf war kurz geschoren, seine Augen hatte er weit aufgerissen.
    »Vielleicht bekommst du bald eine Verstärkung«, sagte der Vater und zeigte auf Bruno. »Der Bruno wird wohl bei uns bleiben.«
    »Ich brauche niemand«, sagte Siegfried abweisend.
    Frau Warczak kam in die Küche. Sie schrie leise auf, als sie ihr Kind sah. »Diese Schweinebande!«, schimpfte sie. »Was haben die wieder mit dir angestellt?«
    Mit Siegfried ging eine seltsame Veränderung vor. Er begann auf einmal, heftig zu weinen. Frau Warczak führte ihn nach hinten ins Haus. »Komm, Sigi! Mutter klebt dir ein Pflaster auf die Hand und näht dir den Schlips wieder an.«
    Schluchzend ging der Junge mit ihr. »Ich will auch so eine Mütze wie der Bruno«, quengelte er.
    Bruno empfand eine starke Abneigung gegen Siegfried.
    »Scheint wohl ein wildes Viertel zu sein«, sagte Paul.
    »Eigentlich nicht«, widersprach Hubert. »Aber weißt du, wie viele in Liebenberg sind wir katholisch. Viele Leute hier stammen aus dem tiefsten Masuren und sind evangelisch. Der Junge hat einen weiten Weg zur Kirche. Da lauern sie ihm auf. Dazu kommt noch, dass Hildegard ihn unbedingt aufs Gymnasium schicken musste. Er trägt die blaue Mütze, wenn er zur Schule geht. Jedes Mal ist der Deibel los, sobald er sich damit aus unserer Straße hinauswagt. Wir haben uns als Kinder ja auch geprügelt mit den Jungen vom Gut und mit denen aus den Nachbardörfern; aber hier ist es was anderes. Ihr werdet es schon noch merken. Es liegt viel Hass in der Luft.«
    Siegfried ließ sich den ganzen Vormittag nicht mehr blicken. Hildegard wirtschaftete in der schmalen Küche herum, die zwischen dem Wohnhaus und einem nach hinten hinaus gebauten Ställchen lag.
    »Ihr bleibt doch zum Mittagessen?«, fragte sie und eilig antwortete Hubert: »Ja, Hildegard, selbstverständlich.«
    »Ich schließe die Tür«, sagte sie. »Es gibt grüne Bohnen. Der Kochgeruch soll nicht in das Zimmer dringen.«
    »Ich werd’s ihr schon beibringen, dass ihr zunächst mal bleibt«, sagte Hubert. »Sie ist ein wenig hitzig, aber sie hat ein gutes Herz.«
    »Hübsch ist sie auf jeden Fall«, sagte Paul.
    Gegen elf klopfte es und ein älterer Mann kam herein. Er trug einen hellgrauen Filzhut, einen blauen Anzug und hohe schwarze Schnürschuhe. Eine goldene Uhrkette spannte sich quer über seine Weste.
    Hubert stellte ihn vor: »Das ist Herr Oberschott, mein Steiger.«
    Hildegard steckte den Kopf ins Zimmer und rief: »Ach, Herr Oberschott, wie schön, dass Sie uns wieder mal besuchen.« Sie band sich die Schürze ab, strich die Haare zurück und ließ ihre Töpfe im Stich.
    Sie ist wirklich schön, dachte Bruno. Sie hatte genau solch dunkelblaue Augen wie Siegfried, runde glatte Wangen, vom Herdfeuer gerötet, ein Grübchen am Kinn und volle rote Lippen.
    Während Hubert für Oberschott einen Stuhl zurechtrückte, holte sie Gläser aus dem Schrank, reichte Bruno eine irdene Kanne und gab ihm ein Geldstück. »Gleich an der

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