Zeit zu hassen, Zeit zu lieben
an ihren schlaffen Busen und sagte: »Aber du, Bruno, du Kuckucksei, du bist und bleibst mein Bester.«
Paul klopfte noch einmal gegen die Haustür, fester jetzt und anhaltender. Drinnen klangen Geräusche auf. Schnelle Schritte klapperten auf den Flurfliesen. Die Tür wurde geöffnet. Eine große, etwas füllige Frau stand da, ihr krauses blondes Haar war locker nach hinten zusammengebunden.
»Was gibt’s denn schon am frühen Morgen?«, fragte sie barsch. Sie zeigte auf eine runde Plakette neben der Haustür. »Betteln und Hausieren verboten«, stand darauf.
Paul lachte und sagte: »Aber wer will denn betteln, Frau Warczak? Wir sind aus Liebenberg.« Er nannte seinen Namen.
»Sind Sie ein Sohn von dem Lukas Bienmann, von dem mein Mann wahre Wundergeschichten erzählt?«
»Ja. Und dies ist Bruno Kurpek. Ist so eine Art Ziehbruder von Hubert.«
Verschlossenheit und Misstrauen flogen ihr übers Gesicht. Widerwillig gab sie die Tür frei und sagte: »Na, dann kommt mal erst rein. Der Berti wird sich wundern.«
Hubert hatte die Stimmen gehört und öffnete die Tür zur Küche. Er hatte sich kaum verändert und war immer noch der »magere Hering«, wie seine Mutter ihn oft genannt hatte.
»Wer ist es?«, fragte er und zog Paul am Arm in die helle Küche, schaute ihm aufmerksam ins Gesicht und sagte zögernd: »Ein Bienmann bist du. Man sieht’s auf den ersten Blick. Bist du der Johannes oder der Paul? Ich hab euch immer schlecht auseinander-halten können.«
»Der Paul Bienmann ist’s, Berti«, sagte seine Frau. »Und mitgebracht hat er uns auch noch was Schönes. Nun geh schon«, sagte sie zu Bruno und schob ihn in die Küche.
Hubert starrte den Jungen an, aber er erkannte ihn nicht.
»Ich bin der Bruno Kurpek. Ich hab bei euch zu Hause gelebt, seit meine Eltern verschwunden sind.«
»Ach ja«, bestätigte Hubert, »meine Mutter hat’s mir damals geschrieben. Aber hab ich dich denn gesehen, als ich zuletzt in Urlaub war?«
»Sicher hast du«, lachte Paul. »Er war damals noch ein Knirps, ein kleiner.«
»Na kommt, setzt euch mit an den Frühstückstisch«, lud Hubert sie ein. »Habt heute sicher noch keinen Kaffee im Bauch.«
Der Tisch in der großen Wohnküche war sehr schön gedeckt. Zwiebelmusterporzellan und ein Strauß roter Tulpen standen auf einem blau-weißen Tischtuch. Als Hubert sah, dass der Junge verwundert auf den Tisch starrte, sagte er: »Anders als in Liebenberg, wie?«
Bruno nickte und dachte, dass die blank gescheuerte Tischplatte mit dem runden braunen Laib Brot und dem Speck dazu auch nicht schlecht gewesen war.
Frau Warczak stellte zwei weitere Tassen auf den Tisch und forderte die beiden auf: »Greift zu! Berti hat vorige Woche Kohlen gegen Brot und Margarine getauscht. Greift nur zu. Und geschlachtet haben wir vor ein paar Wochen auch. Es war ein Ungeheuer von einem Schwein. Stellt euch vor, über drei Zentner wog das Biest!«
Hubert bestand darauf, dass Paul und Bruno seine Frau mit Hildegard anredeten. Er hatte tausend Fragen, die Liebenberg betrafen, und geduldig antworteten Paul und Bruno.
»Ihr mit eurem Klein-Kleckersdorf«, maulte Frau Warczak. »Ich weiß gar nicht, was euch an dem Kaff eigentlich so gut gefällt. Diese sandige Dorfstraße, auf der gelegentlich sogar ein paar Schweine frei herumlaufen, der Brunnen mitten auf dem Dorfplatz und kein Wasser im Haus, das Klo im Stall oder draußen neben der Scheune, die kleinen Bruchbuden …«
»Halt, halt, Hildegard«, wehrte sich Paul. »Die Holzhäuser haben die Bienmanns mit ihren Zimmerleuten gebaut. Du musst lange suchen, bis du so was Solides anderswo findest.«
»Ihr seid in diesem Punkt alle gleich«, antwortete Frau Warczak. »Es treibt euch weg aus Liebenberg, aber je weiter ihr es hinter euch gelassen habt, desto schöner werden die Bilder in euren Köpfen.«
»Ist was dran«, gab Hubert zu. »Aber du bist eben auch nur einmal für eine Woche dort gewesen, dazu noch im Winter, als meine Eltern Silberhochzeit feierten.«
»Im Winter ist es dort auch schön«, sagte Bruno. »Die weiten Schneefelder, die Pferdeschlitten …«
»Es ist in eurem Liebenberg immer schön«, spottete Frau Warczak.
Als die Männer unter sich waren, fragte Hubert geradeheraus: »Was habt ihr beide denn vor?«
»Ich werde mir Arbeit suchen«, sagte Paul. »Ich dachte, ich könnte vielleicht ein paar Tage bei euch …«
»Wir werden sehen.« Huberts Freundlichkeit verschwand, als er hörte, dass Bruno hoffte, ganz dableiben zu
Weitere Kostenlose Bücher