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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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habe deine Zeugnisse gesehen. Du hast im vorigen Jahr keine drei Monate die Schule besucht. Ich selbst unterrichte die siebte Klasse. Du kommst zu mir.«
    »Aber ich …«, versuchte Bruno zu widersprechen, verstummte jedoch unter Hallers Blicken.
    »Arbeit gibt’s sowieso keine. Ganze zwölf von den sechzig Jungen, die entlassen wurden, haben eine Lehrstelle gefunden. Das eine Jahr mehr wird dir guttun. Wenn du fleißig bist, dann sorge ich dafür, dass du eine Lehrstelle findest.«
    Bruno schwieg. Vielleicht war es wirklich besser, noch ein weiteres Jahr in die Schule zu gehen. Rektor Haller schien ihm wohlgesinnt zu sein.
    Bruno war voller Zuversicht, dass er sich gut einleben würde. Noch niemals hatte er Schwierigkeiten in der Schule gehabt, weder in Liebenberg noch in Berlin, wenn man vom Turnen einmal absah.
    Aber schon in den ersten Tagen merkte er, dass Rektor Haller sich nicht damit zufriedengab, wenn Bruno das konnte, was die meisten leisteten. Er forderte ihn und gab ihm schwierigere Aufgaben, als er herausfand, dass Bruno den normalen Stoff des Jahrgangs leicht schaffte. Den Jungen in Brunos Klasse war das bald aufgefallen. Einige suchten seine Nähe, aber andere schauten böse auf Bruno und machten bissige Bemerkungen. Besonders ein großer breitschultriger Junge, der auch Bruno hieß, hatte es auf den Neuen abgesehen, hänselte ihn, wenn Bruno den Aufschwung am Reck nicht schaffte, und nannte ihn eines Tages »Arschkriecher«. Bruno war dem starken Namensvetter bislang immer vorsichtig aus dem Weg gegangen. Vielleicht hätte er auch dies hinuntergeschluckt, aber dann hatte der Bruno Möhringer hinzugefügt: »Genau wie der Warczak! Du bist auch ein Arschkriecher!«
    Da war Bruno wütend geworden: »Was meinst du damit?«
    »Der alte Warczak ist ein Arbeiterverräter, ein Streikbrecher ist er. Der kriecht dem Oberschott in den Hintern.«
    Da hatte Bruno sich auf den Möhringer gestürzt und ihm die Fäuste gegen den Leib geschlagen. Möhringer war so verdutzt, dass er eine Weile brauchte, um zu verstehen, was eigentlich vor sich ging. Mit einem einzigen Faustschlag in Brunos Gesicht hatte er den Angreifer, der ihm nicht einmal bis an die Schulter reichte, zu Boden geschleudert. Möhringer schaute von oben herab auf den Jungen, grinste, drehte sich um und ging davon. Brunos Lippe blutete heftig.
    Rektor Haller sagte: »Kurpek, marsch, in den Flur! Kühle dein Gesicht mit kaltem Wasser.«
    Keine Frage, keine Drohungen. Bruno wusste von diesem Tag an, dass Rektor Haller zu Recht seinen Spitznamen Papa Haller trug.
    Als Bruno nach Hause kam, fand er Paul im Garten. Er saß auf einer Kiste, das Gesicht der Sonne zugekehrt. »Immer noch nichts?«, fragte Bruno ihn.
    »Seit vierzehn Tagen Streik, Junge, und kein Ende abzusehen, da findest du keine Arbeit weit und breit.«
    »Aber Hubert sagt, der Oberschott hätte durchblicken lassen, du könntest auf dem Pütt anfangen.«
    »Soll ich jetzt, wo fast alle streiken, dort arbeiten? Sie würden mich schnell fertigmachen. Nie mehr würden sie ›Kumpel‹ zu mir sagen.«
    »Aber der Hubert …«, wandte Bruno ein.
    »Ja, der«, sagte Paul. »Er sagt, der Schacht darf nicht absaufen. Deshalb fährt er zu jeder Nachtschicht ein. Er sagt, bei dem Streik gehe es gar nicht um Arbeiterrechte. Es sei ein politischer Streik. Die Kommunisten wollen einen anderen Staat, sie wollen eine Räterepublik. Deshalb haben sie den Streik angezettelt. Den Ebert wollen sie in die Knie zwingen.«
    »Und du, Paul? Was sagst du?«
    »Ich weiß es nicht genau, Junge. Manchmal denke ich, der Hubert sieht klar, aber dann meine ich wieder, dass er sich beim Oberschott nur lieb Kind machen will.«
    »Also doch ein Arschkriecher, ein Feigling!«
    »Das will ich nicht sagen, Bruno.« Als Paul sah, wie Brunos Gesicht sich verschloss, behauptete er: »Ein Feigling ist der Hubert sicher nicht. Ich werde es dir heute Abend zeigen, wenn Hubert zur Nachtschicht gegangen ist.«
    Wie an jedem Abend sagten Siegfried und Bruno nach dem Abendessen Gute Nacht und gingen in ihre Dachkammer. Siegfried sprach nur wenig mit Bruno und dem war das recht. In den ersten Tagen, als sie noch in einem Bett zusammen schlafen mussten, waren beide bis an die äußerste Kante gerutscht, um sich nicht zu berühren. Dann aber hatte Paul für Bruno aus Brettern eine Bettstelle zusammengebaut. Hildegard bekam von ihren Eltern ein Oberbett geschenkt und Frau Kursanka hatte dem Paul für ein paar Mark einen guten Strohsack

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