Zeit zu hassen, Zeit zu lieben
durch. Paul und Bruno durften zunächst einmal bleiben.
»Der Bruno kann bei Siegfried schlafen«, hatte Hubert bestimmt. »Für dich, Paul, haben wir kein Zimmer. Aber ich werde nebenan bei Frau Kursanka fragen. Sie ist Witwe. Sie hat ein paar Kostgänger und wird dich wahrscheinlich unterbringen können. Essen kannst du bei uns.«
»Ich will das nicht umsonst haben«, sagte Paul. »Ich kann das Kostgeld zahlen.«
»Das müsstest du mit Hildegard ausmachen«, antwortete Hubert.
Später ließ sich Paul von Frau Kursanka Kammer und Bett zeigen.
»Wir müssten ein viertes Bett aufschlagen«, sagte sie. »Groß genug ist das Zimmer ja.«
Paul war einverstanden. Er wurde schnell mit ihr einig. Sie händigte ihm einen Hausschlüssel aus. »Wirst ihn nicht brauchen, Paul«, sagte sie. »Die Tür zum Stall steht immer auf. Gehst vom Stall durch die Küche ins Haus.«
»Und wozu dann der Schlüssel?«, fragte Paul und drehte den ziemlich großen Eisenschlüssel zwischen den Fingern.
»Ist so eine Art Mietvertrag zwischen uns. Wenn du ihn mir eines Tages zurückgibst oder wenn ich ihn von dir fordere, dann ist’s zu Ende zwischen der Kursanka und dir, verstehst du?«
Als er zu den Warczaks zurückkam, saß nur Hildegard in der Küche und schaute verbissen auf ihr Strickzeug. »Berti ist mit den beiden Jungen zum Fußballplatz«, sagte sie. Dann ließ sie Wolle und Nadeln in den Schoß sinken. »Musst nicht meinen, Paul, ich hätte was gegen euch. Aber der Berti, der würde Jan und alle Mann hier aufnehmen. Wenn ich nicht aufpasse, dann kommen wir nie und nimmer auf einen grünen Zweig.«
»Ich verschwinde, sobald ich Arbeit gefunden habe«, sagte Paul niedergeschlagen. »Ich will niemand zur Last fallen.«
Ihre Stimmung schien umzuschlagen. »Reden wir nicht mehr davon«, lenkte sie ein. »Aber wir haben es hier schwer in der Kolonie. Berti kann’s gut mit dem Steiger. Der hat dem Berti zugesagt, dass er ihn für die Bergschule empfehlen will. Wenn Berti das schafft und Glück hat, kann er selbst Steiger werden. Dann kommen wir endlich raus aus dem Mief der kleinen Leute, weißt du. Endlich mehr Sicherheit, ein paar Sorgen weniger.«
»Und wo liegt der Haken?«, fragte Paul.
»Wirst du schon merken.« Sie lachte bitter. »Den Oberschott mögen die meisten Kumpel nämlich nicht leiden, weißt du. Der ist ein Leuteschinder, sagen sie. Aber das ist er nicht. Er arbeitet selbst hart und das verlangt er auch von seinen Leuten. Der Berti hat’s kapiert, dass niemand sein Geld mit einem Streik und einem Schläfchen auf der Gezähekiste verdienen kann. Er schuftet und wird hochkommen. Ich helfe ihm dabei.«
»So ist das also«, sagte Paul und dachte: Sie wird es schaffen. Sie wird ihn so lange stacheln, bis er oben ist.
»Red bitte nicht mit Berti darüber! Er hat’s nicht gern, wenn ich mich einmische.« Sie legte einen Finger über den Mund.
Paul nickte.
Hubert kam gut gelaunt vom Fußballplatz. Seine Mannschaft hatte gewonnen. Er hatte Josef Brüggemann noch gesprochen, den Sekretär von der Christlichen Gewerkschaft, und der hatte gemeint, der Streik wäre vielleicht noch zu verhindern. Vor allem aber war er auf Goswin Haller zugegangen. Haller war Vorsitzender des Ballspielvereins 06 und außerdem Rektor der Volksschule. Dem erzählte Hubert von Bruno und von dessen wirren Wegen von Liebenberg bis Gelsenkirchen.
Haller strich seinen gewaltigen Schnauzbart, schaute Bruno an und sagte: »Schicken Sie den Jungen. Schicken Sie ihn gleich morgen. Soll nur eine Tasche mitbringen und, wenn er eins hat, sein letztes Zeugnis. Alles, was er in der Schule braucht, bekommt er von mir. Dann hat er einen guten Start.«
Die katholische Schule lag nur eine knappe Viertelstunde von Warczaks Haus entfernt.
Bruno musste allein gehen. Kaum ein anderer Schüler aus der Kolonie besuchte die katholische Schule. Die evangelische Schule lag am anderen Ende der Kolonie. Der Schülerstrom kam Bruno entgegen. Unbehelligt ließen ihn die Mädchen und Jungen vorbei. Heute noch. Aber würden sie nicht bald »Katholische Ratte!« schreien?
In der Schule ging es so, wie Haller versprochen hatte. Bruno bekam Bücher, Hefte, Griffel, eine Schiefertafel, Stifte, Tinte und Federhalter. Ja, sogar einen großen Zeichenblock legte der Rektor noch dazu.
Bruno warf einen Blick auf die Bücher und sagte: »Verzeihung, Herr Rektor, das sind die Bücher für den siebten Jahrgang. Ich gehöre in die achte Klasse.«
»Du gehst in die siebte. Ich
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